Die Toten von Crowcross
sich gegenseitig geholfen. Er hat sie von der Straße geholt, den Entzug bezahlt. Aber Maureen hat ihm auch gutgetan. Sie war ihm so nahe wie niemand sonst und hat ihm Ruhe gebracht. Zumindest war das immer mein Eindruck, nach allem, was Maureen erzählt hat.«
Emma Smith nippte an ihrem Pfefferminztee. Er war noch zu heiß.
»Hat sie noch gearbeitet, als die beiden sich kennengelernt haben?«
»Grove hat es nach seiner Entlassung richtig krachen lassen. Wer hätte das an seiner Stelle nicht getan? Maureen hat mir erzählt, dass er es mit Dutzenden von Straßenhuren gemacht hat. Sie war eine von ihnen und, wie sich herausstellte, wohl auch mehr oder weniger die letzte.«
Emma Smith wusste, dass Janes Aussage offiziell aufgenommen und unterschrieben werden musste, und sie würde auch das Videoband von der Türkamera mitnehmen müssen (als zusätzlichen Beleg dafür, wann Maureen Bright gekommen und wann sie wieder gegangen war). Also war das jetzt der klassische Augenblick für ein kleines inoffizielles Zwischenspiel.
»Auf Ihrer Website steht, dass Sie bis auf Weiteres keine Buchungen annehmen . Liegt das daran, dass …«
»Sie meinen, am Krebs? Ja, genau. Ich kann im Moment nicht arbeiten. Obwohl immer noch die Möglichkeit besteht, dass es nichts ist. Die bisherigen Tests waren nicht eindeutig. Morgen muss ich wieder unters Messer, für die nächste Biopsie. Das bedeutet eine weitere schlaflose Nacht.«
»Aber heutzutage, wenn es früh genug festgestellt und behandelt wird …«
»Ja, ja. Da gibt’s alte Tanten, die s mit nur einer Titte bis neunzig geschafft haben. Aber ich würde es eben lieber mit zweien schaffen.«
DC Smith nickte. Da ging es ihr nicht anders.
Jacobson stattete dem Zentralarchiv des Präsidiums einen Besuch ab. Der Claire-Oldham-Mord hatte mit Sicherheit noch nicht seinen Weg ins Computersystem gefunden . Was immer dazu in papierner Form archiviert worden war, musste vergilbt und zugestaubt ganz weit hinten auf einem der Regale liegen . Sein Instinkt sagte ihm, dass er alles brauchte, was zu dem Fall noch zu finden war, und dass sie lieber heute als morgen mit der Suche anfangen sollten. Es lief gerade ein riesiges IT-Projekt, das zum Ziel hatte, sämtliche Papierdokumente zu digitalisieren, aber bis das geschafft war, würde noch viel Wasser die Crow hinunterfließen; und dabei wollten sie noch nicht einmal weiter als bis 1990 zurückgehen. Alle älteren Unterlagen, und damit auch der Fall Claire Oldham, blieben von der Maßnahme ausgeschlossen. Was vor 1990 stattgefunden hatte, war Geschichte, so sah es das moderne Management des CID. Das waren schlafende Hunde, die besser keiner wecken sollte.
Die junge Frau hinter der Theke verbarg ihre Unlust angesichts des Auftrages mehr oder weniger gut, meinte jedoch, für dessen Ausführung brauche sie auf jeden Fall die Zustimmung ihrer Vorgesetzten. Jacobson entgegnete unbeeindruckt, dann werde er einen Moment warten. Fünf Minuten später tauchte die Vorgesetzte tatsächlich auf. Es handelte sich um eine alte Schreckschraube namens Mary Brampton, die an dem Wahn litt, die Kisten, die überall auf den Regalen Staub fingen, seien ihr persönliches Eigentum. Sie war viele Jahre lang die oberste »Sachbearbeiterin Archiv« gewesen, kurz vor ihrer Pensionierung aber noch zur »Abteilungsleiterin Archiv und Information« befördert worden. Jacobson wusste aus Erfahrung, dass es keinen Sinn hatte, ihr eine E-Mail zu schicken oder eine Nachricht auf ihrer Voicemail zu hinterlassen. Nur eine eindeutige Zusage, die sie in Anwesenheit wenigstens eines Zeugen gegeben hatte, bot Aussicht auf die tatsächliche Erfüllung eines Anliegens. Wie gewohnt stimmte sie augenblicklich ihr Lamento über zu viel Arbeit, zu wenig Personal und die ständigen Ausfälle wegen Krankheit und anderer unerfindlicher Umstände an. Jacobson ließ sich nicht abwimmeln: Es gehe um einen Mordfall, und er brauche bis spätestens Dienstschluss alles zum Fall Claire Oldham im Einsatzraum. Irgendwann gab Mary Bramptom sich geschlagen und zeigte sich gnädig. Jacobson war, auch wenn er es selbst nicht wusste, einer der wenigen höheren Beamten, für die sie überhaupt Zeit hatte.
Er fuhr mit dem Aufzug in sein Büro im fünften Stock. Bevor er (widerstrebend) in den Einsatzraum ging, wollte er noch schnell ein paar Informationen über die Detektei Mott einholen, und zwar über seinen besten Kontakt im Präsidium in Birmingham: DS Barber hatte früher als einfacher DC in
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