Die Toten von Crowcross
Mary Bramptons Knechte in den staubigen Tiefen des Archivs nach den vergilbten, verblichenen Unterlagen zum Fall Claire Oldham suchten.
Nigel Copeland trat aus dem Foyer des Crowbyer »Riverside Hotels«, ließ sich vom Portier die hintere Tür seines Lexus öffnen und sank auf die Rückbank.
Er machte es sich bequem, vergewisserte sich, dass sein Fahrer wusste, wohin es ging, und verschwand für die Dauer der Fahrt hinter der Financial Times. Allerdings war es mit seiner Konzentration nicht weit her. Immer wieder erwischte er sich dabei, wie er den Blick vom Leitartikel hinaus auf die vertrauten Straßen und Häuser gleiten ließ. Crowby, dachte er, nach all den Jahren wieder Crowby. Vieles hatte sich verändert, das meiste jedoch war geblieben wie eh und je. Am Abend zuvor hatte er einen Spaziergang durch die Innenstadt unternommen, er hatte dem Impuls nicht widerstehen können. Das alte Rathaus war noch da, genau wie die Bullenstation gegenüber, gar nicht zu reden von den tristen Betonmassen des Einkaufszentrums. Vor allem das Rathaus hatte damals wie eine feindliche Zitadelle auf ihn gewirkt, eine Festung, die es zu stürmen galt. Heute fand er es einfach alt und solide und merkwürdig tröstlich. All die Jahre, all die Orte, an denen er gewesen war, alles, was er gesehen und getan, die Veränderungen, die er durchgemacht hatte, und die ganze Zeit über hatte dieses Crowby weiter existiert. Nach wie vor tickte die Uhr oben im weißen Art-déco-Turm des Rathauses unaufhaltsam weiter, verkündete Stunden und Tage.
Sie befanden sich jetzt auf dem nördlichen Teil der Umgehungsstraße, wo der Science & Business Park bereits ausgeschildert war. Er sah auf die Uhr. Viertel nach elf. Die Besprechung war auf elf Uhr angesetzt, und sie würden alle längst im Konferenzraum sitzen, nervös herumzappeln und mit den Fingern auf die Tischplatte trommeln, voller Sorge, er könnte sich in letzter Minute doch noch für einen Rückzieher entschieden haben. Bei dem Gedanken musste er lächeln, bei der Vorstellung, dass sie ihn weitaus mehr brauchten als er sie.
Er hätte nicht persönlich kommen müssen. Es war eine unwichtige Akquise, ein wehrloses Opfer. Jeder Einzelne von seinen Leuten hätte hier leicht einen befriedigenden Deal einfahren können. Aber er hatte seine Gründe, weshalb er in die Gegend kommen wollte, wenn auch nur kurz . Im Übrigen war es keine schlechte Sache, sich von Zeit zu Zeit im Alltagsgeschäft die Hände schmutzig zu machen, das hielt ihn auf Trab, damit blieb er auf dem neuesten Stand. Als der Lexus in den Business Park einbog, faltete er die Zeitung zusammen. Wie viele dieser gottverlassenen »Parks« war auch dieser äußerst simpel angelegt, in Form eines kindischen Ovals, das einen, egal, wohin man wollte, früher oder später ans Ziel brachte. Verwechselbare Gesichtslosigkeit, das zeichnete sie aus, die moderne Welt. Manchmal, gerade an heißen Tagen wie diesem, musste man die Augen zusammenkneifen und überlegen, wo man eigentlich war, in welchem Land und in welcher Zeitzone.
Er sah kurz auf seinen PDA, bevor er ausstieg. Nichts, keine wichtigen Nachrichten oder Anrufe. Der derzeitige Geschäftsführer stand vorn am Eingang, um ihn persönlich zu begrüßen. Offenbar hatte er sich allein dafür dort unten postiert. Er hatte die obligatorische PR-Süße bei sich, ganz blondes Lächeln, voller falschem Selbstvertrauen und mit genug freiliegendem Bein, um dem Augenblick eine gewisse Würze zu verleihen . Nicht dass irgendwas von all dem etwas am Ausgang der Sache geändert hätte. Die Firma war am Ende, völlig ausgelaugt, es sei denn, Copeland Insight PLC entschloss sich, den Leuten aus der Patsche zu helfen. Was hieß, dass sie letztlich alle Bedingungen zu akzeptieren hatten, die er stellte. Er erwiderte das Lächeln der Frau mit leerem Blick, drückte die weiche, zögerliche Hand des Geschäftsführers und überlegte spielerisch, wie weit er mit ihnen wohl gehen konnte.
8
Martin Grove.doc
Das Feuer wurde um Mitternacht entfacht. Alle zählten mit:… FÜNF, VIER, DREI, ZWEI, EINS, und Claire selbst steckte den Zünder an. Davor waren die überlebensgroßen Nachbildungen so vorsichtig wie feierlich oben auf den Scheiterhaufen gelegt worden: Margaret Thatcher und Ronald Reagan. Ich erinnere mich noch gut daran, dass Thatcher weitaus besser getroffen war als Reagan. Sie hatte etwas Habichtartiges, einen kalten, strengen Mund und Augen wie Taschenrechner. Die Leute waren kurz vorm
Weitere Kostenlose Bücher