Die Toten von Crowcross
Jacobsons Team in Crowby gearbeitet. Es war zwar unwahrscheinlich, dass ein Trupp privater Schnüffler etwas zutage gebracht hatte, das allen anderen verborgen geblieben war, aber dennoch: Wenn Grove erst kürzlich mit ihnen gesprochen hatte, wie Alan Slingsby meinte, wussten die Leute dort vielleicht Näheres über das, was er selbst herausgefunden hatte. Während Jacobson noch im Telefonverzeichnis seines Handys nach Barbers Nummer suchte, klingelte das Telefon auf seinem Schreibtisch. Es war DS Kerr, der aus seinem Büro anrief.
»Es ist hoffnungslos mit der Gefängnisbürokratie, Frank. Sie brauchen Tage, um uns eine Liste der Gefängnisse zu liefern, in denen Grove gesessen hat. Man sollte doch eigentlich annehmen, dass so etwas längst in irgendeiner Datenbank steht.«
»Wohl wahr, wohl wahr, alter Knabe – wenn man naiv genug ist. Aber die bringen ja sogar die Unterlagen der tatsächlich noch Einsitzenden durcheinander und entlassen auch mal aus Versehen einen von ihnen.«
»Was sie mir gleich sagen konnten, war, dass Grove die letzten Jahre in Boland zugebracht hat . ..«, Kerr machte eine kleine Pause, um den Namen wirken zu lassen, »und wenn wir bedenken, dass seit seiner Entlassung ziemlich genau fünf Jahre vergangen sind …«
»In Bo l and. Sie meinen, er war da, als es zu dem Aufstand kam?«
»Genau ế .. und da ist noch was. Ich habe gerade mit dem stellvertretenden Gefängnisdirektor gesprochen. Nach seiner Aussage hat Grove nie bei irgendwelchen Unruhen mitgemischt, sondern sich im Gegenteil während des Aufstandes in seiner Zelle verbarrikadiert. Und nachdem die Lage sich wieder beruhigt hatte, hat er gegen die Rädelsführer ausgesagt. Offenbar war er einer der Hauptzeugen.«
»Damit hat er sich bestimmt sehr beliebt gemacht.
Immerhin haben einige damals noch ein paar Jahre zusätzlich aufgebrummt bekommen.«
»So ist es. Die meisten von ihnen sitzen noch heute.«
Jacobson trat ans Fenster, den Hörer zwischen Schulter und Kopf geklemmt. Er überdachte, was das alles bedeuten mochte. Der Aufstand in Boland war einer der schlimmsten gewesen, die es je in einem englischen Gefängnis gegeben hatte. Zwei Gefangene, Sexualstraftäter, waren dabei zu Tode gekommen, ebenso ein Gefängniswärter. Gefangenen, die gegen die Aufständischen aussagten, war Anonymität zugesichert worden. Was nicht unumstritten gewesen war.
»Aber nicht alle. Wollen Sie darauf hinaus, Ian?«
»Er will mir eine Liste schicken, glücklicherweise hat er die dafür notwendigen Unterlagen selbst. Er denkt, dass er es heute noch schafft.«
Kaum hatte Jacobson aufgelegt, da klingelte es schon wieder. Jetzt war es Mick Hume.
»Die Dinge kommen ins Rollen, Chef. Und wie. Es gibt eine zweite Leiche hier draußen. Noch frisch, wie Webster meint.«
»Noch eine?«
»Im Wald von Crowcross . Offenbar auf die gleiche Art umgebracht wie Martin Grove, mit einem Kopfschuss und… äh, vielleicht fehlt auch die Zunge. Genauer können wir das erst sagen, wenn der Pathologe hier war. Diesmal ist es eine Frau, etwa Ende zwanzig, schätze ich ế Hat aber nichts dabei, anhand dessen man sie identifizieren könnte.«
»Himmel, Mick«, rief Jacobson . »Das nimmt ja Formen an wie in Basra. Wie ist sie gefunden worden?«
»Von unseren uniformierten Freunden, die nach der Tatwaffe gesucht haben . «Hume gab die genauen Koordinaten durch, und Jacobson schrieb sie auf einen gelben Klebezettel ẳ Dann verkündete er, er sei schon unterwegs, legte auf und rief im Wachraum an: Er brauche einen Streifenwagen hinaus nach Crowcross, und zwar sofort. Als Nächstes rief er Kerr noch einmal an und sagte ihm, er solle nachkommen, sobald er hier fertig sei . Ein Streifenwagen würde Jacobson auf schnellstem Weg an den Tatort bringen, mit Blaulicht und so weiter, aber danach konnte Kerrs weniger auffälliger Honda von größerem Nutzen sein.
Er steckte sein unbenutztes Handy zurück in die Tasche (er würde Barber von unterwegs anrufen, entschied er) und stellte fest, dass er nicht mal Zeit gehabt hatte, sein Jackett auszuziehen. Ein kleiner Trost war immerhin, dass er unter diesen Umständen die verschiedenen Listen und Formulare nicht abhaken und unterschreiben musste, die Brian Phelps ihm unten im Einsatzraum unter die Nase halten wollte. Wenn er auch eine weitere Leiche zu begutachten hatte (und in ein weiteres Paar lebloser Augen sehen musste), würde er doch wenigstens wieder draußen sein, an der frischen Luft und in der Sonne, während
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