Die Toten von Crowcross
Ausrasten, als die Führer der freien Welt in Flammen aufgingen. Sie stampften mit den Füßen, klatschten in die Hände, jubelten und sangen: Maggie, Maggie, Maggie, brenn, brenn, brenn ... Ein Mädchen, Christine, ihren Nachnamen habe ich nie richtig verstanden, hatte mittlerweile ein Auge auf mich geworfen. Während der ersten halben Stunde hatte Claire sich noch um mich gekümmert, mir gezeigt, wo ich meinen Rucksack abstellen konnte, und dafür gesorgt, dass ich etwas zu essen bekam. Aber dann wurde sie von der Party in Anspruch genommen, und ich blieb mir selbst überlassen. Ich muss ein wenig verloren gewirkt haben, schließlich kannte ich niemanden und war bis dahin nie mit solchen Leuten zusammen gewesen: Studenten, »Intellektuellen«, Mittelklasse-Aussteigern, Radikalen. Christine war nett. Das war alles. Einfach nur nett. Sie nahm mich später mit in ihren Schlafsack, in ihrem winzigen Zelt, das sie ganz am Ende des Freiheitsfeldes aufgebaut hatte. Aber am nächsten Tag fuhr sie schon wieder, und ich habe sie nie wiedergesehen. Sie studierte in Birmingham, Nottingham oder so ähnlich und war nur übers Wochenende gekommen. Morgens meinte sie schüchtern, ich könnte mit ihr zurücktrampen und vielleicht eine Zeit lang bei ihr im Studentenheim Unterkommen. Aber das reizte mich nicht, oder nicht genug. Den ganzen Abend über hatte ich Claire hinterhergestarrt, wann immer sie in mein Blickfeld geraten war. Im Prinzip hatte ich bereits den Plan gefasst, eine Weile zu bleiben und sie im Auge zu behalten. Ich weiß nicht, wie ich auf die Idee kam, ich könnte eine Chance bei ihr haben. Aber das dachte ich, vom ersten Abend an, obwohl ich eigentlich kein Romeo war und bis dahin bei den Frauen eher Pech gehabt hatte. Was Christine anging, mein Gott, Jahre später in der Zelle, da habe ich an sie gedacht und mich zeitweilig nach ihr verzehrt, wenn ich ehrlich sein soll. Wie anders sich mein Leben entwickelt hätte, wenn ich genug gesunden Menschenverstand besessen hätte, um ihr Angebot anzunehmen und mich davonzumachen, solange alles noch gut war!
Aber es war ein netter Abend, mein erster Abend im Myrtle Cottage. So gegen ein Uhr morgens kam eine Reggae-Band, die vorher irgendwo in Crowby gespielt hatte, fand die notwendigen Steckdosen für ihre Verstärker, und schon waren alle draußen im Garten und tanzten. Jemand hatte eine große Schüssel Psychopilze auf das Büfett in der Diele gestellt, aus der sich jedermann bedienen konnte. Im Crowcross Wood gab es reichlich davon, wie ich später herausfinden sollte. Ich nahm nur ein paar, gerade genug, um ganz leicht abzuheben. In Partystimmung versetzten sie mich allemal. Die Pilze und der Cider. Der und Christine. Ich weiß noch, wie wir mitten in der Nacht schwankend vor ihrem kleinen Zelt standen. Es war eine klare Vollmondnacht, und ich war ein junger Mann, der auf Gottes Erde stand, frei, mit einem süßen Mädchen im Arm. An den Moment habe ich mich lange geklammert. Das gebe ich gern zu. Im Kopf, verstehen Sie? Wenn man sich in seinen Kopf zurückzieht, ist alles andere egal.
Nach dem Mord haben die Boulevardzeitungen genüsslich und in aller Breite über die »Zustände« berichtet, die im Cottage geherrscht haben sollen. Laut Sun, Mirror und all den anderen Revolverblättern war das Ganze eine einzige Sex- und Drogenorgie, einschließlich Teufelsanbetungen und Hexerei. Was natürlich Blödsinn ist. Völliger, hirnverbrannter Blödsinn. Ja, es gab Sex, aber warum auch nicht? Die meisten der Leute dort waren unter dreißig, viele schliefen miteinander und wechselten hin und wieder den Partner, verliebten und entliebten sich, hatten Lust und dann wieder keine. Und klar, es gab unter ihnen auch ein paar Heiden, die überzeugt waren, ein bisschen übersinnliches Tamtam würde helfen, dem großen Bösen ein Ende zu bereiten. Was sie tatsächlich anstellten, war jedoch völlig harmlos, jedenfalls meiner Meinung nach, und dabei noch hübsch anzuschauen, eine Freude. Und was die »Drogen« angeht, was genau ist damit eigentlich gemeint? Ein Aspirin ist streng genommen auch schon eine Droge. Eine Tasse Kaffee oder ein Schluck Whisky kann die Laune aufbessern. Seit wann hatte der alles unterdrückende kapitalistische Staat das moralische Recht, in unseren Kopf hineinzuregieren, lieber Leser, und uns zu diktieren, welche Wahrnehmung legal und welche illegal war? Das ganze Drogenkonzept ist staatlich unterstützter Schwachsinn, wobei ich in meiner ersten Woche im Knast
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