Die Toten von Crowcross
Vandalismus komme, wie sie sich jüngst ereignet hätten. Mit Vandalismus, so verstanden es alle, war eine Sitzdemo auf dem moosbedeckten, brüchigen Rollfeld gemeint, die vom Cottage an einem Augustsonntag (zum Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima) organisiert worden war. Was den mutmaßlichen Plan anging, den Flughafen für Atombomber der NATO zu nutzen, gab es immer noch weder offizielle Bestätigung noch Dementi.
Der neue Zaun hatte ein einziges Tor mit zwei großen, breiten Flügeln voller Schilder, die davor warnten, das Gelände unbefugt zu betreten. Dahinter wurden ein paar solide Container aufgestellt, als Basis für ein Team von Sicherheitsleuten, die, ausgestattet mit Taschenlampen, Schlagstöcken und Schäferhunden, den Flughafen rund um die Uhr bewachten.
Alle im Myrtle Cottage verstanden das als eine Rechtfertigung ihres Protestes. Wie Claire selbst immer wieder sagte: Wenn für Crowcross wirklich nichts geplant war, warum um alles in der Welt unternahm das Verteidigungsministerium dann solche Anstrengungen? Warum setzten sie nicht mal die eigenen Leute zur Bewachung ein, sondern betrauten gegen Extrakosten eine örtliche Firma, die CrowbyGuard Security, mit den Kontrollgängen? Die Gerüchteküche im Cottage kochte hoch und höher, wobei eine Frage alle Diskussionen beherrschte: Wie sollte man darauf reagieren?
Das Freiheitsfeld grenzte an einen entlegenen Zipfel des Flughafens, das Ende einer der kleineren Startbahnen (was letztlich die strategische Bedeutung des Cottages ausmachte). Schnell wurde dieser Bereich des Freiheitsfeldes zum Brennpunkt unserer täglichen Aktivitäten. Wir banden Friedensbänder an den Zaun, boten den patrouillierenden Wächtern improvisierte Friedenskonzerte und versuchten ohne Erfolg, sie in Gespräche zu verwickeln. Nichts von alledem hatte große Wirkung oder entfachte Medieninteresse, was aufs Gleiche herauskam. Es dauerte nicht lange, bis alle genervt waren, besonders Nigel und Claire. Der Zaun sei ein Symbol , verkündete Claire immer wieder. Der Zaun verkörpere die repressive Macht des Staates, und wir müssten ihn durchbrechen, um zu beweisen, dass die repressive Macht sich herausfordern und am Ende sogar besiegen ließ.
Es wurden Pläne geschmiedet und die entsprechenden Leute ausgewählt. Ich hatte mich bereits eifrig im Plakatklebertrupp engagiert, war das doch ein Job, bei dem ich wirklich helfen (und Eindruck schinden) konnte. Meist gingen wir am späten Donnerstagabend los, damit unsere Plakate die Chance hatten, übers Wochenende zu sehen zu sein, wenn in Crowby besonders viel los war. Kein Platz war vor uns sicher. Wir beklebten Plakatwände, Bushaltestellen und Schaufenster, alle Flächen, an denen die Plakate gesehen wurden und eine Wirkung erzielen konnten. Für die Polizei war unsere Kleberei sicher kaum mehr als ein nerviges Ärgernis, hatte sie doch mit weit schwereren Vergehen zu kämpfen. Trotzdem machten sie Jagd auf uns, vor allem, weil das Rathaus Druck auszuüben begann. Ein paar von uns waren schon erwischt und mit einer Strafe belegt worden. Und da kam ich ins Spiel, denn ich kannte mich mit Schleichwegen, kleinen Gassen, Abkürzungen und allen möglichen Tricks bestens aus; schließlich war ich in Crowby aufgewachsen. Das Ergebnis war, dass wir mehr Plakate anbringen konnten und keiner mehr beim Kleben erwischt wurde, woraufhin ich beim Planungstreffen am Montag von Nigel (mit Unterstützung von Claire) für das neu geschaffene Aktionskomitee Zaun vorgeschlagen und von den Anwesenden bestätigt wurde. Es war erst das zweite Mal in meinem Leben, dass ich die wärmende Befriedigung erfuhr, von meiner Umgebung anerkannt zu werden. Natürlich wusste ich nicht, dass es auch eines der letzten Male sein sollte.
Das Zaun-Kom, wie es schnell genannt wurde, nahm sich sehr ernst. Die alltägliche Paranoia im Cottage war mehr oder minder normal; so ging es in den Achtzigern bei allen Anti-Regierungs-Aktionen im Land zu. Es wurde angenommen, dass wir Informanten unter uns hatten, die regelmäßig Namen und Berichte über unsere Pläne und Aktivitäten an die entsprechenden Behörden weitergaben. So traf sich das Zaun-Kom unten im Keller, außerhalb der allgemeinen Hörweite. Der Ort bot sich auch insofern an, als Andy und ich, wie auch Hilary, dem Komitee angehörten. Und natürlich, wie wäre es anders möglich, Claire und Nigel.
Das Zaun-Kom brachte mich beiden ein Stück näher, was ein weiterer unbedachter Schritt auf dem Weg Richtung
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