Die Toten von Crowcross
beschrieben hatte, und hatte tatsächlich zehn Minuten gewonnen.
»Warum sagen Sie dann, sie hat Pech, Doktor?«, fragte er leicht verwirrt. Stockton schien ihm nicht der sarkastische Typ zu sein.
»Aus zwei Gründen hauptsächlich«, sagte Stockton.
»Zum einen hätte sie meiner Meinung nach, wenn sie sich umbringen wollte, auch das Recht gehabt, zu sterben. Nun ja. Vor allem aber denke ich an die Möglichkeit eines Gehirnschadens, die sehr, sehr groß ist. Ich fürchte, sie hat trotz Ihres beherzten Eingreifens eine zeitlich begrenzte totale Anoxie erlitten.«
Den letzten Teil verstand Kerr nicht ganz, obwohl die Rettungssanitäter ihm bereits erklärt hatten, dass die Gefahr einer Hirnschädigung bestehe.
»Eine Unterbrechung des Blutkreislaufes und damit auch der Sauerstoffzufuhr. Schon drei, vier Minuten reichen aus, um das Gehirn dauerhaft zu schädigen«, erklärte Stockton und übersetzte das Ganze noch elegant in Kerrs Alltagssprache: »Wenn sie überlebt, dann möglicherweise nur, um besinnungslos dahinzudämmern . «
Kerr dankte Stockton für die düstere Auskunft und ließ ihn mit seiner Tasse Tee allein. Er ging die paar Schritte den Korridor hinunter und drückte den Schalter am Eingang der Intensivstation, ging aber nicht hinein, als die Türen aufschwangen . Er war nicht hergekommen, um sich nach Ann Ledburys medizinischer Prognose zu erkundigen. Wenigstens nicht hauptsächlich. Er wollte jemanden sprechen, der gebeugt auf dem Stuhl neben ihrem Bett sitzen musste. Deshalb gestikulierte er zu der Schwester im Schwesternzimmer hinüber, winkte sie heran und erklärte ihr, was er wollte. Er hatte entschieden, dass er es gut aushalten konnte, Ann Ledbury nicht zu sehen, wie sie dalag, angeschlossen an Maschinen, die sie vor dem Tod errettet hatten und jetzt drohten, sie als hilflose Schwachsinnige zurück ins Leben zu entlassen.
Der DC im Einsatzraum hatte herausgefunden, dass Martin Grove achtzehn Monate zuvor eine gerichtliche Verfügung gegen sie erwirkt hatte – sie sollte sich von ihm fernhalten. Offenbar war sie nur nach Wynarth gezogen, um in seiner Nähe zu sein. Wie eine Stalkerin hatte sie ihn verfolgt und mit unerwünschten Briefen und Anrufen bombardiert. Darüber hinaus hatte der DC einen besorgten Exehemann aufgespürt, der immer noch unter einer ihrer früheren Adressen zu erreichen gewesen war, in Moseley, drüben in Birmingham.
Die Schwester brachte den Mann zum Eingang der Station ế Kerr erklärte, wer er war, und schlug vor, sie könnten nach unten ins Besuchercafé gehen. Ann Ledburys Exmann schien nicht recht zu wollen, aber die Schwester beruhigte ihn und sagte, sie würden ihn holen, wenn sich eine Änderung ergebe, sofort, was immer es sei. Das Café war gut besucht, aber sie fanden einen freien Tisch.
»Es ist schön, dass Sie hergekommen sind«, sagte Kerr höflich, zögernd. »Eine Menge Exmänner würden nicht mal wissen wollen, dass so etwas passiert ist.«
Mark Ledbury sah ihm in die Augen und versuchte ganz unverhohlen, ihn einzuschätzen.
»Ann und ich«, sagte er endlich leise, »das war von Anfang an fürs Leben. Allerdings hätte ich nie für möglich gehalten, dass sie eine solche Dummheit macht.«
Laut DC war Ann Ledbury siebenunddreißig. Kerr schätzte, dass ihr Ex ungefähr genauso alt war. Der Mann trug eine Cargohose und ein gelbes N 02 ID-T -Shirt und war offenbar eine Art Künstler. Genau wie der verfluchte Scruton, hatte Kerr gedacht, als er es erfuhr. Das war seine gewohnte Reaktion, wenn er auf solche Leute traf, aber dann sagte er sich in der Regel, dass man niemandem seinen Beruf Vorhalten sollte.
Er nippte an seinem Tee und fragte sich, wie er anfangen sollte.
Ledbury half ihm aus der Klemme.
»Wir haben uns auf der Kunstakademie kennengelernt. Vor vielen Jahren. Wir sind zusammen gegangen, haben uns getrennt, vertragen, wieder getrennt . ẻ . Bis Evelyn, ihre beste Freundin, am Ende Anns Kram zusammengepackt und zu mir in die Wohnung gebracht hat.«
Bei der Erinnerung lächelte er schwach. Einen Moment lang wirkte er weniger traurig.
»Wir waren fast zwölf Jahre zusammen, davon fünf verheiratet. Die ersten paar Male, als sie mir davonlief, habe ich mich irgendwie damit abgefunden. Schließlich kam sie immer wieder, reumütig und voll der guten Vorsätze. Aber letztlich hat es mich fertiggemacht. War das alles meine Schuld?«
Kerr nahm an, dass Ledbury darauf nicht wirklich eine Antwort erwartete, und so schwieg er.
»Als ich die
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