Die Totenfalle
ihr Ohr hineindrängte und ihr fremd vorkam.
»Keine Sorge, ich halte Sie fest…«
Yvonne kannte die Stimme nicht. Oder hatte sie den Klang schon gehört? Jedenfalls hatte ein Mann zu ihr gesprochen. Verwirrt öffnete die Frau die Augen. Sie schaute nicht mehr gegen die Scheibe, sondern in das Gesicht des dunkelhaarigen Kellners, der sie gedreht hatte und besorgt anblickte.
Noch schienen sich die Konturen des Kopfes auflösen zu wollen. Sekunden später aber sah sie klarer, und sie fühlte sich auch wieder besser, obwohl ihr Herz noch sehr stark klopfte.
»Danke, danke«, flüsterte sie.
»Es ist schon gut.«
»Ich verstehe das auch nicht«, sagte sie über ihr Gesicht streichend. »Es ist plötzlich alles so anders geworden. Dieser Schwindel, ich… ich kann es nicht fassen.«
»Gab es denn einen Grund? Sind Sie gesundheitlich angeschlagen, Miß?«
Yvonne riß die Augen weit auf. »Einen Grund?« murmelte sie. »Mein Gott, nein – ja, doch…«
»Soll ich einen Arzt rufen?«
»Unsinn, das ist nicht nötig. Ich fühle mich ja wieder besser. Ja, es geht mir relativ gut. Es ist vorbei.«
Der Wirt brachte ein Glas Wasser. Sie leerte es wie im Traum, denn wieder kehrten Erinnerungen zurück. Dabei drehte sie den Kopf dem Fenster zu, denn hinter der Scheibe hatte sie die Gestalt der toten Tabitha Leroi gesehen.
Sie stellte das Glas ab, ohne etwas anderes gesehen zu haben, als den normalen Betrieb. »Sie sind so blaß«, sagte der Wirt.
»Das geht wieder vorbei.«
»Was ist denn geschehen?«
Beinahe hätte sie vor ihrer Antwort noch gelacht. Soll ich ihm sagen, daß ich eine Tote gesehen habe, die draußen über die Straße spaziert ist?
Oder soll ich von einem Geist sprechen?
Nein, sie hätte sich bei beidem lächerlich gemacht und gab eine Antwort, die in dieser modernen Zeit immer akzeptiert wurde. »Ich bin etwas überarbeitet, der Streß im Büro…«
»Ja, das verstehe ich.«
Yvonne wischte über ihre Stirn, dann tupfte sie die Lippen mit der Serviette ab. »Es ist schon wieder vorbei, ich komme zurecht, danke.«
»Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«
»Das wäre nett.«
Der Wirt kümmerte sich persönlich darum, während Yvonne beim Kellner die Rechnung beglich. Sie tat dies automatisch und kam sich vor wie in einem Theaterstück, in dem sie eigentlich gar nicht mitspielen wollte. Warum hatte sie diese Halluzinationen, warum war das gerade ihr passiert? Wie stark war das Band zwischen ihr und der Verstorbenen?
Yvonne stellte sich zahlreiche Fragen, ohne darauf je eine Antwort zu finden. Hier lief alles so, wie es nicht mehr hätte sein sollen. Das war eine verkehrte Welt, man hatte die Dinge auf den Kopf gestellt. Da hatte die Welt der Geister die Kontrolle über die normale erlangt, und das war verrückt.
War es das tatsächlich?
So ganz wollte sie nicht zustimmen, denn ihre Chefin hatte als Geistheilerin gearbeitet und ihr manchmal erzählt, daß sie nur deshalb so gut war, weil der Kontakt zu den anderen stimmte. Aber wer waren die anderen?
Etwa die Toten?
»Taxi?« Die Tür war aufgestoßen worden. Ein Farbiger stand auf der Schwelle, hatte gefragt und lächelte.
»Hier«, sagte Yvonne und hob die Hand. Vor dem Verlassen des Lokals nickte sie den Gästen und dem Personal noch einmal zu. Danach war sie froh, sich in die Polster des Wagens fallen zu lassen. Es war vorbei, sie hatte es überstanden und trotzdem schwebte die Angst vor dem beginnenden Abend und der nachfolgenden Nacht wie eine finstere Drohung über ihr…
***
Und dieses Angst verging auch nicht, als Yvonne Terry ihr kleines Bad betreten hatte und unter der Dusche stand. Sie freute sich über das Prasseln der heißen Strahlen auf ihren Körper. Das brachte ihren Kreislauf wieder in Schwung.
Ihr Erlebnis lag jetzt knapp zwei Stunden zurück. Die Dunkelheit hatte sich über London gelegt, und sie wurde von einem leichten Dunst durchweht, als hätten sich zahlreiche Gespenster zusammengefunden, um die Stadt zu bewachen. Abermals lag eine Nacht vor Yvonne, und abermals würde sie mit Furcht und klopfenden Herzens in ihr Bett steigen. In der letzten Nacht hatte sie gut geschlafen, und sie hoffte stark, daß sich dies wiederholen würde.
Während des Essens hatte sie zwei Gläser Wein geleert, eigentlich genug, um sie schläfrig zu machen, doch dieser andere Vorgang hatte sie so aufgeputscht, daß es ihr schwerfallen würde, überhaupt einzuschlafen. Sie brauchte etwas, um die nötige Ruhe zu finden, und dabei würde ihr der
Weitere Kostenlose Bücher