Die Totenfalle
Wein wahrscheinlich helfen. Nach dem Abtrocknen streifte sie einen dünnen Slip über und schlüpfte in den kuscheligen Bademantel. Das blonde Haar hatte sie hochgebunden, so daß es einen Turban auf dem Kopf bildete. Sie reinigte den Spiegel von der Feuchtigkeit und schaute sich ihr eigenes Gesicht in der Fläche an. Zufrieden war sie damit nicht.
Man konnte sie als hübsche Frau bezeichnen, auch wenn ihr das eigene Gesicht etwas zu hart vorkam. Ihr waren zudem die Lippen zu schmal, das Kinn zu eckig, die Stirn etwas zu hoch und auch zu breit. Dafür hatte sie eine gerade Nase und helle Augen, von denen schon so mancher Mann fasziniert gewesen war.
Sie strich etwas Feuchtigkeitscreme auf die Haut und drehte sich dann um, weil sie das Bad verlassen wollte. Seit einiger Zeit haßte sie eine stille Wohnung, deshalb hatte sie auch den Fernseher nicht abgeschaltet. Sie gab sich der Illusion hin, wenigstens durch die Bilder einen Besucher zu haben und nicht so allein zu sein. Es war einfach wichtig für ihre Seele. Sie hatte auch überlegt, sich einen zweiten Apparat ins Schlafzimmer zu stellen, dazu war sie noch nicht gekommen.
Als sie einen Blick auf den Bildschirm warf, sah sie die Discotypen sich nach einer lauten Musik verrenken. Sie mochte das nicht mehr. Vor einigen Jahren noch hatte es ihr Spaß gemacht, die Nächte durchzutanzen, das war nun vorbei.
Sie stellte den Ton leiser, knipste noch eine Stehlampe an und wollte die Flasche Wein aus der Küche holen, als sich das Telefon meldete. Es schrillte nicht mehr, es summte nur. Ein Anruf um diese Zeit paßte ihr gar nicht, obwohl es im Prinzip nicht so spät war, nur fragte sie sich, wer etwas von ihr wollte.
Was auch an Normalem passierte, Yvonne brachte es stets in einen Zusammenhang mit ihrer verstorbenen Chefin. Diesmal sogar das Summen des Telefons.
Etwas zögernd hob sie ab. Sie meldete sich auch nicht mit Namen, sondern nur mit einem schwach klingenden »Hallo…?«
Zuerst hörte sie nichts. Nur ein seltsames Rauschen, vergleichbar mit einer fernen Meeresbrandung.
»Hallo…«
Keine Antwort.
»Wer sind Sie denn? Melden Sie sich!« Ärger und Beklemmung schwangen in ihrer Stimme mit. »Yvonne…?«
Eine ferne, sehr ferne Stimme erreichte sie, und die junge Frau schloß die Augen. Am liebsten hätte sie geschrien, das aber brachte sie nicht fertig. Plötzlich wurden ihre Knie weich, sie hatte Mühe, überhaupt stehen zu bleiben. Zum Glück stand der kleine Regiestuhl in der Nähe, auf dem sie ihren Platz fand.
Sie kannte die Stimme. Mein Gott, das konnte nicht sein. Da… sprach eine Tote!
»Hörst du mich Yvonne?«
Das muß ein Tonband sein. Das muß einfach über eine Kassette laufen. Hier treibt jemand mit dir einen makabren Scherz, hier will dich jemand fertigmachen.
Wollte man das wirklich?
Sie legte auf.
Hastig, blitzschnell, einem Gefühl folgend. Sie wollte einfach nicht mehr die Stimme der Toten hören, auch wenn sie von einer Kassette kam. Nur keine Erinnerung!
Wieder summte der Apparat. Und wieder traf es sie wie ein Stich mit einer Glasscherbe. Sie wußte nicht, was sie tun sollte, es summen lassen oder abheben…
Sie hob ab. Darüber wunderte sich Yvonne selbst, denn sie hatte das Gefühl, wie unter einem Zwang zu stehen, als hätte eine andere Person bei ihr Regie geführt.
»Ja…«
»Warum hast du denn aufgelegt, Yvonne?«
Im letzten Augenblick konnte sie den Schrei unterdrücken, denn die Frage der toten Tabitha Leroi war so glasklar an ihr Ohr gedrungen, als würde die Frau lebend neben ihr stehen.
Sie zitterte.
Schweiß bedeckte ihre Stirn. Über ihren Nacken lief es eisig hinweg, bis hinab zum Rücken. Ihre Augen kamen ihr plötzlich blutunterlaufen vor. Die Magenschmerzen waren kaum auszuhalten, und die Stimme versagte ihr völlig.
Das war keine Kassette, die irgend jemand ablaufen ließ, das war echt, da hatte sich eine Tote gemeldet! Oder ein Geist? »Gib Antwort, Yvonne…«
»Ja, ja…«
»Ich freue mich, daß du jetzt redest.«
Die Angesprochene schluckte. Ich muß die Nerven behalten, sagte sie sich, ich darf jetzt nicht durchdrehen. Es ist alles nicht wahr, aber ich muß so tun, als wäre es wahr. »Wer bist du denn?«
Das leise Lachen kannte sie. Ja, so hatte Tabitha immer gelacht, wenn sie sich amüsierte. »Wer ich bin, brauche ich dir nicht zu sagen. Schön, daß wir noch auf eine gewisse Art und Weise zusammen sind. Du weißt, daß du mich besuchen wirst. Du sollst auf den Friedhof kommen, wir alle
Weitere Kostenlose Bücher