Die Totengräberin - Roman
wenn das Haus kein Wasser hatte, niemanden, der
ein defektes Türschloss abschraubte oder eine klemmende Schublade wieder gängig machte. Sie würde einen Mechaniker rufen müssen, um bei einer Panne das schwere Rad ihres Wagens zu wechseln, würde die Einkäufe allein bewältigen und als Letzte abends die Lichter löschen müssen. Sie würde allein auf Dorffesten auftauchen und allein nach einem Abendessen bei Freunden nach Hause kommen. Es würde einsam sein. Niemand mehr, der ihr beim Zähneputzen im Spiegel zulächelte oder sie in den Arm nahm, wenn unten am Bach die Jagdhunde bellten. Im Haus würde es still werden. Wahrscheinlich würde sie sogar den Klang seiner Stimme allmählich vergessen.
All das stand ihr deutlich vor Augen, und dennoch fühlte sie eine tiefe Zufriedenheit. Sie hatte das, was sie sich vorgenommen hatte, geschafft. Sie hatte es wahrhaftig getan. Und anschließend hatte sie schier Unglaubliches geleistet. Denn als sie die Leiche bis in den Garten gezerrt hatte, war sie mit ihren Kräften vollkommen am Ende. Sie saß neben dem neunzig Kilo schweren Sack und brach vor lauter Hilflosigkeit in Tränen aus.
Nach zehn Minuten hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Sie stand mühsam auf, hievte den Leichnam bis zur Grube, schickte im Stillen ein Dankgebet zum Himmel und wuchtete das Paket hinein.
In der dunklen Erde lag ein Müllsack, der einmal ihr Mann gewesen war. Der sie geküsst und geliebt, in den Arm genommen und getröstet hatte. Den sie besser gekannt hatte als sich selbst und der ihr alles bedeutet hatte. Der ihr Leben gewesen war.
Sie hob das Olivenbäumchen in die Grube, stellte es direkt auf die Stelle, wo sie sein Herz vermutete, schaufelte
die dunkle Erde über ihn, und dann war Johannes verschwunden. Für immer.
Sie saß noch lange auf der Terrasse im Hof, genoss diesen Moment der Stille. Irgendwann begann sie vor sich hin zu summen, und dann sang sie leise:
»WHEN THE NIGHT HAS COME,
AND THE LAND IS DARK,
AND THE MOON IS THE ONLY LIGHT WE’LL SEE,
NO I WON’T BE AFRAID, OH, I WON’T BE AFRAID,
JUST AS LONG AS YOU STAND, STAND BY ME.
SO DARLIN’, DARLIN’, STAND BY ME, OH, STAND BY ME.
OH, STAND, STAND BY ME. STAND BY ME.«
Ihre klare, helle Stimme klang durch die Nacht wie ein einsames Requiem.
Als das Käuzchen schrie, blies sie die Kerze aus, ging ins Haus, verschloss sorgfältig die Haustür und legte sich, vollkommen mit sich im Reinen, ins Bett.
Sie schlief sofort ein.
10
Magda erwachte am nächsten Morgen um Viertel nach acht und fühlte sich frisch und voller Energie. Sie stand sofort auf, duschte und wusch sich die Haare, wozu sie sonst oftmals keine Lust hatte. Hunger verspürte sie keinen, obwohl sie gestern fast den ganzen Tag nichts gegessen hatte, aber sie hatte Appetit auf Kaffee. Einen Cappuccino mit viel heißer, geschäumter Milch.
Also versuchte sie, die Espressomaschine wieder in Gang zu setzen. Sie säuberte die Siebe, ließ ein paarmal Essigwasser durchlaufen, um die Maschine zu entkalken, und versuchte schließlich, einen Espresso zu brühen. Der erste war dünn und labbrig, und sie kostete ihn noch nicht einmal. Für den zweiten nahm sie mehr Kaffee, drückte das Pulver fester in die Form, und beim dritten pumpte sie mit dem chromfarbenen Hebel auf und ab, bis der Espresso eine cremige Oberfläche hatte. Magda jubilierte innerlich, erwärmte Milch auf dem Herd, schäumte sie mit einem elektrischen Quirl auf und goss sie über den Kaffee.
Sie konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann sie sich das letzte Mal zu Hause zum Frühstück einen Kaffee gemacht hatte, und genoss jeden Schluck. Es war wie ein Fest, und sie wurde fast euphorisch. Schluss mit der elenden Teetrinkerei
am Morgen, jetzt würde sie bereits beim Anziehen das Gurgeln der Espressomaschine hören und riechen, wie der Kaffeeduft durchs Haus zog.
Und zum ersten Mal durchfuhr sie der Gedanke, vielleicht nie wieder nach Deutschland zurückzukehren.
Nachdem sie den Kaffee getrunken hatte, fuhr sie nach Montevarchi.
Vor dem Bahnhof fand sie auf Anhieb einen Parkplatz, was an einem Sonntagmorgen nicht ungewöhnlich war. Im winzigen Bahnhofsgebäude waren keine Kunden am Ticketschalter, die Angestellte der Bahn kam erst, als sie Magda vor dem Schalter warten sah. Magda sagte freundlich »Guten Morgen« und kaufte ein Biglietto nach Rom. Als die Signora es ihr unter der Glasabtrennung durchschob, fragte Magda nach dem nächsten Zug.
»Der fährt um elf Uhr fünfzehn«, sagte die
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