Die Totengräberin - Roman
fast ein Ritual, dass sich Magda und Johannes mit Massimo und Monica zu einem gemeinsamen Abendessen auf La Roccia trafen, wenn der Sommerurlaub begann. Bei dieser Gelegenheit erfuhren sie den gesamten Dorfklatsch, aber auch
wichtige Dinge wie neue Erlasse und Verordnungen der Kommune oder der Provinz. Diese Abende waren stets kurzweilig und interessant, und wenn Massimo redete, verstand Magda alles, was er sagte, und merkte manchmal über lange Strecken gar nicht, dass sie italienisch sprachen.
»Buongiorno, Maddalena!«, brüllte Massimo, als Magda auf ihn zukam. Er stand vor dem Haus und hackte Holz. Eine typische Sommerarbeit, denn in Italien war es üblich, dass der Holzvorrat für den kommenden Winter bis Ferragosto am fünfzehnten August trocken gestapelt in der Scheune war.
Monica kam aus dem Haus und trocknete sich ihre Hände an einem Küchenhandtuch.
Magda umarmte die beiden.
»Schön, dass du mal vorbeikommst«, sagte Monica. »Setz dich doch einen Moment zu uns!«
»Danke.« Alle drei setzten sich an den Tisch, der direkt vor der Küche stand und auf dem eine kitschige, knallbunte Plastikdecke lag.
»Ich bin vorbeigekommen, weil ich euch zum Essen einladen möchte. Ihr hattet es ja schon mal vage mit Johannes besprochen. Passt es euch am Sonntag zum Cena?«
»Das ist wundervoll!«, posaunte Massimo in voller Lautstärke, »wir haben Zeit, und Lust haben wir sowieso, nicht wahr, Monica?«
Monica nickte und lächelte.
»Und? Alles in Ordnung auf La Roccia?«, fragte Massimo.
»Alles prima«, antwortete Magda lächelnd.
»Johannes wollte doch die kranke Zeder an der Auffahrt fällen. Soll ich ihm dabei helfen?«
»Das besprichst du am besten mit Johannes. Er ist im
Moment nicht da, weil er am Sonntag zu einem Freund nach Rom gefahren ist. Aber am Freitagabend kommt er wieder zurück.«
»Warum bist du denn nicht mitgefahren?«
»Es war mir zu stressig. Die letzten Wochen in Berlin waren furchtbar anstrengend, ich muss mich erst mal ein bisschen ausruhen. Jetzt gleich in die nächste Großstadt - nee, dazu hatte ich keine Lust.«
»Bene«, meinte Monica, »das machst du richtig.«
»Warst du denn schon mal in Rom?«
»Ja. Vor zwei Jahren waren wir mal zehn Tage da.«
Massimo nickte. Wer schon mal in Rom gewesen war, war entschuldigt. Er war der Meinung, jeder Mensch, der in Italien lebte, musste wenigstens einmal die Ewige Stadt besucht und auf dem Petersplatz gestanden haben.
»Wie lange bleibt ihr diesmal hier?«
»Vier bis sechs Wochen. Vielleicht sogar noch ein bisschen länger. Ich muss mal sehen, ob mich die Apotheke so lange entbehren kann.«
»Ach, wie schön. Dann seid ihr ja diesmal noch da, wenn bei uns Dorffest ist.«
»Das sind wir. Und wir freuen uns schon drauf.«
»Können wir dir was zu trinken anbieten? Einen Kaffee, ein Wasser, einen Wein?«
»Nein, danke, Monica, sehr lieb, aber ich hab nicht viel Zeit und muss los.«
Magda stand auf, umarmte Massimo und Monica und nahm ihre Tasche.
»Dann bis Sonntag.«
»Bis Sonntagabend. Ciao, Maddalena.«
Während sie langsam durch den Garten zu ihrem Auto ging, überlegte sie schon, was sie für Massimo und Monica
kochen sollte. Vielleicht würde sie eine Ente braten. Auch im Sommer in Italien durchaus nichts Ungewöhnliches. Aber auf jeden Fall Johannes’ Lieblingsgericht.
12
Lukas Tillmann erwachte davon, dass das Fax piepte. Er sah auf die Uhr. Viertel vor eins. Verdammt. Der halbe Tag war schon um, er würde also wieder nicht schaffen, was er sich vorgenommen hatte. Eigentlich konnte er noch weiterschlafen, denn jetzt kam es auf eine halbe Stunde auch nicht mehr an, aber er stand auf. Wollte unbedingt wissen, wer ihm gerade ein Fax geschickt hatte. In Zeiten der E-Mail-Kommunikation kam ihm das genauso antiquiert vor wie ein Telegramm oder der reitende Bote zu Pferd.
Vorsichtig stakste er durch das Chaos auf seinem Teppichboden. Flaschen, Bücher und Zeitungen lagen auf der Erde, ein Glas war ausgekippt und hatte einen hässlichen Rotweinfleck auf der Auslegware hinterlassen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wann er es umgestoßen hatte.
Während er ins Wohnzimmer stolperte, stellte er erleichtert fest, dass er keine Kopfschmerzen hatte. Wenigstens etwas. Dann konnte er vielleicht doch noch einiges erledigen. Wäsche waschen zum Beispiel. Der Berg Schmutzwäsche links neben der Balkontür wuchs ins Unermessliche und breitete sich aus wie ein gärender Hefeteig, der über den Rand der Schüssel quoll.
Das
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