Die Totengräberin - Roman
Grabschaufeln
unterschätzt. Aber jetzt musste sie weitermachen, auch wenn ihre Muskeln zitterten.
Als die Sonne hinter den Bergen versank, war sie so weit, dass sie beginnen konnte.
Von der Terrassentür bis zum Haupteingang mit der toskanischen Treppe und dem kleinen Portiko waren es über den Hof ungefähr sieben Meter. Daneben war der Durchgang zur Ostterrasse, auf der im Halbschatten einer stämmigen Eiche drei Hortensien in Terrakottatöpfen prächtig gediehen. Das ganze Jahr über standen dort zwei schmiedeeiserne Stühle und ein kleiner Tisch, aber Magda und Johannes saßen nur selten dort. Magda grauste vor Insekten, die aus dem Baum in ihr Haar oder ins Glas fallen könnten.
Direkt neben der Ostterrasse lag der Gemüsegarten. Bis dahin waren es ungefähr noch einmal zwölf Meter. Die längste und gefährlichste Strecke, da man den Platz vom Haus gegenüber auf dem nächsten Hügel einsehen konnte.
Seit Tagen hatte Magda das gegenüberliegende Nachbargrundstück beobachtet, aber es wirkte wie ausgestorben. Magda vermutete, dass die Nachbarn bei ihrer Tochter und ihren Enkeln in Grosseto waren, die dort ein Haus hatten. Insofern war die Gelegenheit günstig.
Jetzt, nach Sonnenuntergang, wurde es schnell dunkel. Es war schon lange niemand mehr unterwegs. Das Abendessen war in den Familien um diese Zeit bereits vorbei, man traf sich mit Freunden beim Wein, entweder zu Hause oder in einer Bar. Man saß auf der Piazza, ging ins Kino, ins Theater oder in eine Discothek. Es gab tausend Möglichkeiten, den Abend zu verbringen. Aber keine davon war ein Spaziergang in der Natur. Nur Wilderer wagten sich nachts in den Wald.
Aus dem Gästezimmer holte Magda eine Wolldecke, die
sie neben Johannes legte, und sie rollte die Leiche darauf. Dann begann sie ihn durch die Küche zu ziehen.
Die kurze Strecke auf dem glatten Steinfußboden ging leicht, aber im Hof wurde es mühsam. Magda kam nur zentimeterweise voran und verzweifelte fast. Nach drei Metern musste sie verschnaufen. Sie ließ ihn liegen, setzte sich fünf Minuten hin und zog dann das schwere Paket weiter Richtung Durchgang. Johannes’ Hinterkopf schlug hart auf die Steine, es tat ihr beinah weh, und sie musste sich immer wieder klarmachen, dass es ihm nichts mehr anhaben konnte.
Im Durchgang machte sie eine lange Pause. Jetzt noch zwölf Meter.
Mittlerweile war es stockdunkel. Eine Außenlaterne, die über dem Durchgang hing, beleuchtete den Weg bis zur Zisterne notdürftig. Aber das genügte.
Ein leichter Abendwind wehte ums Haus. Normalerweise würden wir jetzt im Hof sitzen und Abendbrot essen, dachte sie. Einen frischen Mozzarella mit Tomaten, Basilikum und Öl-Knoblauchsoße, ein bisschen Schinken, ein paar Oliven. Dazu knuspriges Ciabatta. Johannes würde eine Flasche Wein öffnen, und vielleicht würden sie darüber diskutieren, ob es nicht doch schön wäre, einen Pool zu bauen. Auch wenn der Sommer kurz war und sie ihn nur wenige Wochen nutzen konnten.
All das ging ihr durch den Kopf, als sie den leblosen Körper ihres Mannes zu dem frisch ausgehobenen Grab in ihrem Gemüsegarten zog.
Nie wieder würden hier Kartoffeln wachsen, denn der Garten hatte eine neue Aufgabe bekommen: Johannes’ Leiche zu schlucken und nie wieder herzugeben.
9
Es war ein Uhr dreißig, als sie es geschafft hatte, die Leiche in die Kuhle zu rollen. Sie setzte das Olivenbäumchen auf Johannes’ Brust, drückte es mit Erde fest, schaufelte das Grab vollständig zu und harkte es glatt. Anschließend war sie fix und fertig.
Aber jetzt hatte sie das Schlimmste hinter sich. Bisher hatte sich noch nie jemand für den Gemüsegarten interessiert, das würde auch in Zukunft niemand tun. Und bis sie Johannes als vermisst melden würde, war das Unkraut gejätet und alles in Ordnung. Sie konnte sich entspannen.
Magda setzte sich an den großen Holztisch auf dem Hof und trank ein Glas Wein. Sie hatte die Lampe über dem Tisch nicht eingeschaltet, sondern lediglich ein Windlicht angezündet. Der Wald lag vor ihr wie eine schwarze Wand, noch nicht einmal den Weg konnte sie in der Dunkelheit ausmachen. Nur der zarte Duft eines Jasminbusches, der neben der Küchentür eingepflanzt war und gerade erst zu blühen begann, wehte durch die kühle Nachtluft.
Es wurde ihr bewusst, dass sie von nun an allein sein würde. Allein an diesem Tisch, wenn sie etwas aß oder trank, allein in ihrem Bett. Es gab niemanden mehr, der die Verstopfung in den Rohrleitungen zum Wassertank reparierte,
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