Die Totenleserin1
zu werden, die mit ihren Langbooten über die flachen kleinen Nebenflüsse der Cam glitten. Als dieMönche, die es ursprünglich bewohnt hatten, ausstarben, war das Anwesen den frommen Frauen geschenkt worden.
All das erfuhr Adelia von Edric, hinter dem sie auf dem Pferd saß, das sie jetzt, gefolgt von Aufpasser, durch ein Seitentor in der Klostermauer trug, weil das Haupttor abgesperrt worden war.
Der Reitknecht war ebenso wie Matilda W verstimmt darüber, dass der Kleine St. Peter schlechte Arbeit geleistet hatte. »Das sieht gar nich gut aus, einfach so dichtzumachen, wo die Pilgersaison doch gerade erst losgeht«, sagte er. »Mutter Joan ist richtig sauer.« Er setzte Adelia bei den Stallungen und Zwingern ab, die einzigen gut gepflegten Gebäude des Klosters, die sie bislang gesehen hatte, und deutete auf einen Pfad, der an einer Koppel entlang verlief. »Gott gehe mit Euch, Missus.« Er selbst hatte das offensichtlich nicht vor.
Um jedoch nicht gänzlich von der Außenwelt abgeschnitten zu sein, befahl Adelia dem Mann, jeden Morgen zur Burg zu reiten, sowohl um Nachrichten von ihr zu überbringen als auch um sich zu erkundigen, wie es ihren Leuten ging.
Sie machte sich mit Aufpasser auf den Weg. Der Lärm der Stadt jenseits des Flusses verklang. Lerchen flogen auf, und ihr Gesang war wie eine jähe Befreiung. Hinter ihr begannen die Hunde der Priorin zu heulen, und irgendwo im Wald vor ihr blaffte ein Rehbock.
Derselbe Wald, so fiel ihr ein, in dem sich das Herrenhaus von Sir Gervase befand.
»Könnt Ihr was tun?«, wollte Priorin Joan wissen. Sie wirkte sorgenvoll und schlanker, als Adelia sie in Erinnerung hatte.
»Nun, es ist nicht die Pest«, antwortete Adelia, »und auch nicht Typhus, dem Herrn sei Dank. Keine der Schwestern hat den Ausschlag. Ich glaube, es ist die Cholera.«
Die Priorin erbleichte, und Adelia fügte hinzu: »Eine mildere Form als die im Osten verbreitete, aber immer noch schlimm genug. Ich mache mir vor allem Sorgen um Eure Krankenpflegerin und um Schwester Veronica.« Die Älteste und die Jüngste. Schwester Veronica war die Nonne, die am Reliquiar des Kleinen St. Peter gebetet und Adelia mit einem Bild ewiger Gnade beschenkt hatte.
»Veronica.« Die Priorin wirkte bekümmert – was Adelia für sie erwärmte. »Die Sanftmütigste von allen, möge Gott ihr beistehen. Was muss getan werden?«
Ja, was? Adelia blickte sorgenvoll auf die andere Seite des Kreuzgangs, wo sich jenseits der Säulen ein übergroßer Taubenschlag erhob, so sah es zumindest aus: zwei Reihen türloser Rundbögen, die jeweils in eine kaum vier Fuß breite Zelle führten, in der eine Nonne daniederlag.
Es gab keine Krankenstube – die Bezeichnung »Krankenpflegerin« war offenbar ein Ehrentitel, den die alte Schwester Odilia nur deshalb trug, weil sie sich mit Kräutern auskannte. Es gab auch kein Dormitorium, überhaupt keinen Raum, wo die Nonnen gemeinsam hätten gepflegt werden können.
»Die ursprünglichen Mönche waren Asketen, die Wert auf eigene Zellen legten«, sagte die Priorin, als sie Adelias Blick sah. »Wir benutzen sie noch, weil wir bis jetzt kein Geld hatten, um etwas Neues zu bauen. Könnt Ihr was tun?«
»Ich werde Hilfe brauchen.« Es wäre schon schwierig genug, in einem Krankensaal für zwanzig Frauen zu sorgen, die alle an schwerem Durchfall und Erbrechen litten, aber von Zelle zu Zelle laufen zu müssen, die gefährlich enge und geländerlose Treppe, die zu den oberen Zellen führte, hinauf und hinunter, das würde die Pflegerin selbst niederstrecken.
Sie sagte: »Darf ich fragen, ob Ihr mit Euren Nonnen gemeinsam esst?«
»Und wieso wollt Ihr das wissen, Mistress?« Die Priorin war beleidigt, als hätte Adelia ihr irgendein Versäumnis vorgeworfen.
Was sie in gewisser Weise auch tat. Sie musste daran denken, wie gewissenhaft Mutter Ambrosia auf die körperliche und seelische Nahrung ihrer Nonnen geachtet hatte, wenn sie am Kopf der Tafel im peinlich sauberen Refektorium von San Giorgio saß, wo zu gesunden Mahlzeiten aus der Bibel gelesen wurde und es gleich auffiel, wenn eine Nonne auf das eine oder andere keinen Appetit hatte, und entsprechend gehandelt werden konnte. Aber sie wollte nicht gleich zu Anfang einen Streit heraufbeschwören, daher sagte sie: »Es könnte etwas mit der Vergiftung zu tun haben.«
»Vergiftung? Wollt Ihr damit sagen, dass jemand uns ermorden will?«
»Absichtlich, nein. Unabsichtlich, ja. Cholera ist eine Form von Vergiftung. Da Ihr selbst
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