Die Totenleserin1
Doktor Mansur dafür, dass er meine Nonnen heilt, nicht dass seine Untergebene die Räumlichkeiten ausspioniert.«
»Doktor Mansur sagt, um einen Patienten zu behandeln, muss man die Räume behandeln.«
Adelia war nicht bereit nachzugeben. Sie hatten den schwersten Fällen in den Zellen etwas Opium verabreicht, um die Krämpfe zu lindern, und für die übrigen Kranken konnte jetzt nur noch wenig getan werden – außer sie zu waschen und ihnen abgekochtes Wasser einzuflößen, womit Gyltha und Matilda W bereits beschäftigt waren –, solange die Küche nicht so weit hergerichtet wurde, dass sie sie für ihre Zwecke nutzen konnten.
Adelia drehte sich zu Matilda B um, der diese Herkulesarbeit zufiel. »Schaffst du das, Kleine? Kannst du diesen Augiasstall ausmisten?«
»Haben die hier auch Pferde gehalten?« Matilda krempelte die Ärmel hoch und sah sich um.
»Würde mich nicht wundern.«
Mit einer ungehaltenen Priorin im Schlepptau machte sich Adelia auf einen Besichtigungsrundgang. Ein Wandschrank im Refektorium enthielt etikettierte Gläser, die einiges über Schwester Odilias Wissen in Kräuterkunde verrieten, aber auch einen reichlichen Vorrat an Opium – zu reichlich, wie Adelia fand. Sie wusste um die Wirkung der Droge und hielt ihren eigenen Vorrat aus Angst vor Diebstahl stets auf ein Minimum beschränkt.
Das Wasser des Klosters erwies sich als gesund. Eine zwar torfigverfärbte, aber reine Quelle entsprang aus der Erde und floss in eine Leitung, die durch die Gebäude führte: Zuerst durch die Küche, bevor sie den Fischteich des Konvents versorgte, dann weiter in die Waschküche der Nonnen, das Lavatorium, und schließlich aufgrund eines hilfreichen Gefälles unter der langen, mit zahlreichen Löchern versehenen Bank im Abort her. Die Bank war recht sauber, doch die Rinne, die darunter verlief, war schon seit Monaten nicht mehr ausgebürstet worden – eine Aufgabe, für die Adelia die Priorin ins Auge fasste, weil sie keinen Grund sah, Gyltha oder die Matildas damit zu betrauen.
Aber das hatte noch Zeit. Nachdem sie zunächst dafür gesorgt hatte, dass sich der Zustand ihrer Patientinnen nicht noch weiter verschlimmerte, richtete Adelia nun all ihre Energie darauf, das Leben der Frauen zu retten.
Prior Geoffrey kam, um ihre Seelen zu retten. Angesichts der Fehde zwischen ihm und der Priorin war das eine hochherzige Geste. Und noch dazu mutig. Der Priester, der den Schwestern sonst die Beichte abnahm, war aus Angst vor der Pest nicht gekommen, sondern hatte stattdessen einen Brief mit einer Generalabsolution für jede etwaige Sünde geschickt.
Es regnete. Wasserspeier auf dem Dach des Kreuzganges spuckten Kaskaden in den ungepflegten Garten im Zentrum des Ganges. Priorin Joan empfing den Prior und dankte ihm mit reservierter Höflichkeit. Adelia brachte seinen nassen Umhang zum Trocknen in die Küche.
Als sie zurückkehrte, war Prior Geoffrey allein. »Zum Kuckuck mit der Frau«, sagte er. »Ich glaube, sie verdächtigt mich, dass ich ihre ungünstige Lage ausnutzen und die Gebeine des Kleinen St. Peter stehlen will.«
Adelia freute sich, ihn zu sehen. »Wie geht es Euch, Prior?«
»Recht gut.« Er zwinkerte ihr zu. »Bis jetzt funktioniert alles tadellos.«
Er war schlanker als früher und sah gesünder aus. Sie war froh darüber und auch über seine Mission. »Ihre Sünden kommen mir so unbedeutend vor, nur ihnen selbst nicht«, sagte sie über die Nonnen. In besonders schlimmen Augenblicken, wenn sie sich dem Tode nahe glaubten, hatten einige der Patientinnen ihr anvertraut, aus welchen Gründen sie das Höllenfeuer fürchteten. »Schwester Walburga hat etwas von der Wurst gegessen, die sie den Fluss hinauf zu den Einsiedlern bringen sollte, aber wenn man hört, wie verzweifelt sie darüber ist, könnte man meinen, sie sei ein apokalyptischer Reiter und die Hure von Babylon in einer Person.«
Tatsächlich war Adelia zu der Überzeugung gelangt, dass die Anschuldigungen, die Bruder Gilbert gegen die Nonnen erhoben hatte, aus der Luft gegriffen waren. Ein Arzt erfuhr von akut erkrankten Patienten so manches Geheimnis, und Adelia hatte festgestellt, dass diese Frauen schludrig sein mochten, undiszipliniert, größtenteils ungebildet – alles Fehler, für die sie die Nachlässigkeit ihrer Priorin verantwortlich machte –, aber nicht unzüchtig.
»Christus wird ihr die Wurst verzeihen«, sagte Prior Geoffrey ernst.
Als er allen Schwestern im Erdgeschoss die Beichte abgenommen hatte, war
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