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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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war niemand. Sie legte eine Hand an die Säule und lehnte sich kurz dagegen. Die Gestalt hatte Hörner getragen. Aufpasser schien nichts bemerkt zu haben, aber das tat er ja ohnehin fast nie.
    Ich bin sehr müde, dachte sie.
    In Odilias Zelle schrie Priorin Joan laut auf …
    Nachdem sie die Gebete gesprochen hatten, hüllten Adelia und die Priorin den Leichnam der Krankenpflegerin in ein Tuch und trugen ihn gemeinsam zur Kapelle. Sie legten ihn auf einen behelfsmäßigen Katafalk aus zwei Tischen, über die ein Tuch gebreitet war, entzündeten Kerzen und stellten sie ans Fußund ans Kopfende.
    Die Priorin blieb, um ein Requiem zu singen. Adelia ging zurück zu den Zellen und setzte sich an Agathas Bett. Alle Nonnen schliefen, wofür sie dankbar war. Es war besser, wenn sie erst morgen von dem Tod erfuhren, dann wären sie kräftiger. Das heißt, wenn es an diesem furchtbaren Ort je Morgen wird, dachte sie. Heidnisch, hatte der Prior gesagt. Die starke, einsame Altstimme, die fern in der Kapelle erklang, schien kein christliches Requiem zu singen, sondern einen gefallenen Krieger zu beklagen. War es Odilias Tod gewesen oder irgendetwas in den Steinen selbst, das die gehörnte Gestalt im Kreuzgang heraufbeschworen hatte?
    Erschöpfung, sagte Adelia sich erneut. Du bist müde.
    Aber das Bild ließ sie nicht los, und um es abzuschütteln, ersetzte sie es in ihrer Fantasie durch eine andere Gestalt, eine rundlichere, fröhlichere, über alles geliebte, bis nicht mehr das Grauen da stand, sondern Rowley. In dem Gefühl, von seiner tröstlichen Präsenz behütet zu werden, schlief sie ein.
    Schwester Agatha starb in der Nacht darauf. »Ihr Herz hat einfach aufgehört zu schlagen«, schrieb Adelia in einer Nachricht an Prior Geoffrey. »Es war ihr schon wieder besser gegangen. Ich hatte es nicht erwartet.« Und sie hatte geweint.
    Mit Ruhe und Gylthas gutem Essen erholten sich die übrigen Nonnen rasch. Veronica und Walburga, die beiden Jüngsten, waren schneller wieder auf den Beinen, als Adelia lieb war, obwohl der Hochstimmung der beiden nur schwer zu widerstehen war. Dennoch, es war unvernünftig von ihnen, dass siesogleich flussaufwärts fahren wollten, um die vernachlässigten Einsiedler zu versorgen, zumal die beiden Schwestern in Gott zwei Kähne würde staken müssen, um die notwendige Menge an Nahrung und Brennstoff transportieren zu können.
    Adelia wandte sich an Priorin Joan und bat sie, die beiden daran zu hindern, sich zu überanstrengen.
    Sie war selbst am Ende ihrer Kraft und nahm kein Blatt vor den Mund. »Sie sind noch immer meine Patienten. Ich kann es nicht zulassen.«
    »Sie sind noch immer meine Nonnen. Und die Einsiedler meine Verantwortung. Von Zeit zu Zeit braucht vor allem Schwester Veronica die Freiheit und Einsamkeit, die sie bei ihnen findet. Sie hat darum gebeten, und ich habe es immer gewährt.« »Prior Geoffrey hat versprochen, die Einsiedler zu versorgen.« »Ich habe keine hohe Meinung von Prior Geoffreys Versprechungen.«
    Es war nicht das erste Mal, auch nicht das zweite oder dritte Mal, dass Joan und Adelia aneinandergerieten. Die Priorin, die einsah, dass sie mit ihrer häufigen Abwesenheit das Kloster und die Nonnen an den Rand des Ruins getrieben hatte, versuchte unwillkürlich, ihre Autorität wiederherzustellen, indem sie sich Adelia widersetzte.
    Sie hatten sich wegen Aufpasser gestritten, von dem die Priorin zu Recht behauptete, er stinke – aber nicht mehr als die Zellen der Nonnen. Sie hatten sich wegen der Verabreichung von Opium gestritten, weil die Priorin beschlossen hatte, sich auf die Seite der Kirche zu schlagen. »Schmerz ist von Gott gesandt – nur Gott sollte ihn lindern.«
    »Wer sagt das? Wo in der Bibel steht das?«, hatte Adelia gefragt.
    »Ich habe gehört, die Pflanze macht süchtig. Sie werden es weiter nehmen wollen.«
    »Nein. Sie wissen gar nicht, was sie da einnehmen. Es wirkt vorübergehend, es ist ein Schlafmittel, damit sie keine Schmerzen spüren.«
    Vielleicht weil sie den einen Streit gewonnen hatte, verlor sie den anderen. Die beiden Nonnen erhielten die Erlaubnis der Priorin, den Einsiedlern Vorräte zu bringen – und Adelia, die wusste, dass sie nichts mehr für das Kloster tun konnte, verließ es zwei Tage später.
    Genau zur selben Zeit, als die Assise in Cambridge eintraf.

    Der Lärm war ohnehin schon überwältigend, aber für Adelia, deren Ohren sich an Stille gewöhnt hatten, war es, als prügelte man auf sie ein. Mit ihrem schweren

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