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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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Adelia. »Hol den Jungen.«
    Die Nonne kroch in den Tunnel, und das Klimpern ihrer Handschellen wurde leiser, als sie sich vorwärtsbewegte.
    Adelia betete, ein lautloser Schrei. Allmächtiger Gott, nimm meine Seele, das ist mehr, als ich ertragen kann.
    Rakshasa nahm den toten Aufpasser. Er warf ihn auf den Amboss, so dass der Hund auf dem Rücken lag. Er behielt Adelia weiter im Blick, griff mit einer Hand nach dem Feuersteinmesser und fuhr sich mit der Spitze versuchsweise über den Handrücken. Er hob den Arm, um ihr das Blut zu zeigen.
    Er braucht meine Angst, dachte sie. Er hat sie.
    Die Geweihstangen wackelten, als er die Augen zum ersten Mal von Adelia abwandte und nach unten sah. Er hob das Messer …
    Sie schloss die Augen. Er spielte seine Taten nach, und sie würde ihm nicht dabei zusehen. Er wird mir die Augenlider abschneiden, und ich werde ihm nicht zusehen.
    Aber sie musste zuhören, wie das Messer in Fleisch und Eingeweide stieß und Knochen splitterten. Endlos, endlos.
    Sie hatte keine Beschimpfungen mehr in sich, keinen Trotz, ihre Hände waren reglos. Falls es eine Hölle gibt, dachte sie dumpf, sie reicht nicht an die hier heran.
    Die Geräusche verstummten. Sie hörte seine Füße näher kommen, roch seinen Gestank. »Kuck zu«, sagte er.
    Sie schüttelte den Kopf, doch als sie einen Schlag auf den linken Arm spürte, öffnete sie die Augen. Er hatte sie mit dem Messer verletzt, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Er war gereizt. »
Kuck zu

    »Nein.«
    Sie hörten es beide, ein Schlurfen aus dem niedrigen Gang. Zähne zeigten sich unter der Hirschmaske. Er blickte zum Eingang hinüber, aus dem Ulf getaumelt kam. Auch Adelia sah hin.
    Gott schütze ihn, der Junge war so klein, so schlicht, zu wirklich, zu
normal
auf dieser monströsen Bühne, die die Kreatur für ihn bereitet hatte, und Adelia schämte sich richtig, gleichzeitig mit ihm darauf eine Rolle zu spielen.
    Er war vollständig bekleidet, aber er torkelte und war benommen. Seine Hände waren vor dem Körper gefesselt. Um Mund und Nase hatte er Flecken. Opiumtinktur. Aufs Gesicht gedrückt. Um ihn ruhig zu halten.
    Seine Augen glitten langsam zu der zerfetzten Masse auf dem Amboss und weiteten sich.
    Sie rief: »Hab keine Angst, Ulf.« Es war keine Aufmunterung, sondern ein Befehl: Zeig ihm keine Furcht, liefere ihm kein Futter.
    Sie sah, wie er versuchte, sich zu sammeln: »Hab ich nich«, flüsterte er.
    Adelia fasste wieder Mut. Und zugleich kam die Wut. Und die Entschlossenheit. Kein Schmerz auf Erden konnte sie davon abhalten. Rakshasa hatte sich halb von ihr abgewandt, in UlfsRichtung. Sie riss die Hände nach vorn, und der Bolzen flog aus der Wand. Mit derselben Bewegung versuchte sie, Rakshasa die Kette zwischen den beiden Handschellen über den Kopf und um den Hals zu schlingen, um ihn damit zu erwürgen.
    Sie kam nicht hoch genug, und die Kette verfing sich in dem Geweih. Als sie daran zog, kippte die Maske grotesk nach hinten und zur Seite, und die Schnüre, mit denen sie befestigt war, spannten sich straff unter Rakshasas Nase und über den Augen.
    Er war für einen Moment blind, und die Attacke brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Sein Fuß rutschte weg, und er fiel, Adelia mit ihm – in die Masse aus Hundegedärmen, die den Boden schlüpfrig machten.
    Ein Knurren ertönte, ihr eigenes oder Rakshasas, sie ließ nicht locker, mehr konnte sie nicht tun. Sie hing mit der Kette in dem Geweih fest, an dem er mit Schnüren hing. Sie kamen nicht voneinander los, sein Körper gebeugt unter ihrem, ihr Knie auf seinem ausgestreckten Messerarm. Er versuchte, sie abzuschütteln, um dann nach hinten zuzustoßen, sie kämpfte, damit er sie nicht abwarf und tötete. Die ganze Zeit über rief sie: »Lauf weg, Ulf. Die Leiter. Lauf weg!«
    Der Rücken unter ihr hob sich; sie hob sich mit ihm und sackte dann wieder nach unten, als Rakshasa erneut ausglitt. Das Messer rutschte ihm aus der Hand in die glitschige Masse. Mit Adelia auf dem Rücken kroch er darauf zu, stieß dabei gegen Ulf und Veronica, die nun auch in das Gewühl fielen. Alle vier rollten sie unentwirrbar auf dem Boden durcheinander.
    Von irgendwo war etwas Neues zu hören. Ein Laut. Er bedeutete nichts. Adelia war blind und taub. Sie hatte die Geweihstangen mit beiden Händen gepackt und versuchte, sie so zu drehen, dass sich eine Spitze in Rakshasas Schädel bohrte. Das neue Geräusch war nichts, ihr eigener Schmerz nichts. Dreh.Dreh ihm das Geweih ins Gehirn. Dreh. Lass

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