Die Totenleserin1
ihn noch immer.
Adelia, die geglaubt hatte, sich mit allen Zuständen des Körpers auszukennen, erlebte etwas völlig Neues. Sie fühlte sich geschmeidig und weich, nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich, fast
ölig
; es war, als wüchsen Blätter aus ihrem Körper, als streckte sich ihre Haut zu ihm hin, nur um von ihm berührt zu werden – von ihm, der in diesem Moment nicht etwa ihre Brüste betrachtete, sondern die Blutergüsse auf ihren malträtierten Rippen.
»Hat er dir was angetan? Ich meine,
wirklich
was angetan?«, wollte er wissen.
Sie fragte sich, für was er denn wohl die Prellungen und die Wunde an ihrem Arm hielt, und ihr zugeschwollenes Auge. Dann verstand sie: Ha, wurde ich vergewaltigt? Das ist ihnen wichtig. Jungfräulichkeit ist ihr Heiliger Gral.
»Und wenn?«, fragte sie sanft.
»Das ist es ja«, sagte er. Er kniete jetzt neben der Wanne, so dass ihre Köpfe auf einer Höhe waren. »Auf dem ganzen Weg zum Hügel habe ich mir vorgestellt, was er dir antun könnte, aber solange du es überleben würdest,
war es mir egal.«
Er schüttelte den Kopf ob dieser Unfassbarkeit. »Geschändet oder verletzt, ich wollte dich wieder haben. Du gehörtest mir, nicht ihm.«
Oh,
oh
. »Er hat mich nicht angerührt«, sagte sie. »Abgesehen von dem und dem. Ich werde genesen.«
»Gut«, sagte er energisch und stand auf. »Also dann, es gibt viel zu tun. Ich kann hier nicht mit Frauen in Badewannen rumschäkern. Es gibt Vorbereitungen zu treffen, nicht zuletzt für unsere Hochzeit.«
»Hochzeit?«
»Ich werde mit dem Prior sprechen, natürlich, und er wird mit Mansur sprechen. Das muss alles seine Ordnung haben. Und dann kommt der König … Morgen, vielleicht, oder übermorgen, wenn alles bereit ist.«
»Hochzeit?«
»Du musst mich jetzt heiraten, Frau«, sagte er verblüfft, »ich habe dich nackt gesehen.«
Er wollte gehen, wollte tatsächlich gehen.
Sie stemmte sich unter Schmerzen aus der Wanne und griff nach einem Handtuch. Es würde kein Morgen geben, begriff er das denn nicht? Jedes Morgen war voller Schrecklichkeiten.Heute,
jetzt
, war entscheidend. Für Wohlanständigkeit war keine Zeit.
»Geh nicht, Rowley. Ich ertrage es nicht, allein zu sein.«
Und das war die Wahrheit. Nicht alle Mächte der Finsternis waren bezwungen. Eine weilte noch immer irgendwo in diesem Gebäude. Manche würden ihre Erinnerung für immer heimsuchen. Nur er konnte sie fernhalten.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht schlang sie die Arme um seinen Hals und spürte die warme, feuchte Weichheit ihrer Haut auf seiner.
Sachte löste er sich aus ihrer Umarmung. »Das mit uns ist etwas anderes, verstehst du denn nicht, Frau? Wir werden heiraten, und wir sollten Gottes Gesetze achten.«
Ausgerechnet jetzt, dachte sie, ausgerechnet jetzt macht er sich Gedanken um Gottes Gesetze. »Die Zeit haben wir nicht, Rowley. Jenseits dieser Tür gibt es keine Zeit mehr.«
»Wie wahr. Ich muss mich um so vieles kümmern.« Aber er hatte angefangen, schneller zu atmen.
Ihre nackten Füße standen auf seinen Stiefeln, das Handtuch war heruntergerutscht, und jeder Zoll ihres Körpers presste sich an seinen.
»Mach es mir nicht so schwer, Adelia. Es ist ohnehin schon hart für mich.« Sein Mund zuckte. »In jeder Hinsicht.«
»Ich weiß.« Sie konnte es spüren.
Er seufzte gespielt. »Es wird nicht leicht sein, eine Frau zu lieben, die gebrochene Rippen hat.«
»Versuch es«, sagte sie.
»Ach herrje«, sagte er barsch. Und trug sie zum Bett. Und versuchte es. Und machte seine Sache sehr gut. Zuerst wiegte er sie in den Armen und besang leise flüsternd ihre Schönheit auf Arabisch, als wären weder Englisch noch Französisch angemessen, um ihr zu zeigen, wie schön sie für ihn war, auch mit demblauen Auge, und dann stützte er sein Gewicht mit den Armen ab, um sie nicht zu belasten.
Und sie wusste, dass sie für ihn schön war, so wie er für sie schön war, und das war also die körperliche Liebe, dieser pulsierende, geschmeidige Ritt zu den Sternen und wieder zurück.
»Kannst du das noch einmal machen?«, fragte sie.
»Großer Gott, Frau. Nein, kann ich nicht. Nun ja, noch nicht. Es war ein anstrengender Tag.« Aber dann, nach einer Weile, versuchte er es und machte seine Sache wieder sehr gut.
Bruder Swithin ging mit seinen Kerzen sparsam um, und sie erloschen, tauchten den Raum in Halbdunkel, während der Regen gegen die Fensterläden peitschte. Sie lag eng angeschmiegt im Arm ihres Geliebten und atmete den
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