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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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erkrankt.«
    »Ach ja?« Die Priorin wandte den Blick ab. »Sie ist fort. Sie sind alle fort.«
    Die Kirche hatte also ein Machtwort gesprochen.
    »Das tut mir leid«, sagte Adelia. Und das stimmte; es hatte etwas Schreckliches an sich, ein menschliches Wesen so zerstört zu sehen. Und auch das sterbende Kloster hatte etwas Schreckliches an sich, als würde es in sich zusammensinken. Sie hatte den Eindruck, dass sich das Gebäude zur Seite neigte. Auch der Geruch war verändert, die ganze Form.
    Und ein kaum wahrnehmbares Geräusch, wie das Summen eines Insektes, das in einem Glas gefangen ist, nur höher.
    »Wo ist Walburga hin?«
    »Was?«
    »Schwester Walburga. Wo ist sie?«
    »Oh.« Der Versuch nachzudenken. »Zu ihrer Tante, glaube ich.« Dann war für sie hier nichts mehr zu tun. Sie konnte weg von diesem Ort. Aber Adelia zögerte. »Kann ich Euch irgendwie helfen, Priorin?«
    »Was? Geht weg. Lasst mich allein.«
    »Ihr seid krank, lasst mich Euch helfen. Ist sonst noch jemand hier? Um Gottes willen, was ist das für ein
Geräusch?«
So schwach es auch war, es reizte die Nerven wie ein Dauerton im Ohr. »Hört Ihr das nicht? Eine Art Vibrieren?«
    »Es ist ein Geist«, sagte die Fratze. »Es ist meine Strafe, es zu hören, bis es aufhört. Und nun geht. Lasst mich hier, damit ich den Schreien der Toten lauschen kann. Selbst Ihr könnt einem Geist nicht helfen.«
    Adelia wich zurück. »Ich werde jemanden herschicken«, sagte sie, und zum ersten Mal in ihrem Leben lief sie vor den Kranken davon.
    Prior Geoffrey. Er würde etwas tun können, die Priorin hier wegholen, obwohl die Geister, die Joan heimsuchten, sie überallhin verfolgen würden.
    Sie verfolgten auch Adelia, als sie davonlief, und in ihrer Hast, schnell wegzukommen, stürzte sie beinahe durch die Pforte nach draußen.
    Als sie sich aufrichtete, sah sie sich Auge in Auge mit der Mutter von Harold und konnte den Blick nicht abwenden. Die Frau starrte sie an, als ob sie beide ein ungemein mächtiges Geheimnis miteinander teilten.
    Schwach sagte Adelia: »Sie ist fort, Agnes. Sie haben sie weggeschickt. Alle sind weg, da ist nur noch die Priorin …«
    Es war nicht genug. Ein Sohn war gestorben. Agnes’ schreckliche Augen sagten ihr, dass da noch mehr war; sie wusste es, sie wussten es beide.
    Und dann wusste Adelia es wirklich. Alle Einzelteile fügten sich zu einem einzigen Begreifen zusammen. Der Geruch – so fehl am Platze, dass sie den säuerlichen Geruch von frischem Mörtel zunächst nicht erkannt hatte. Gott, Gott,
bitte.
Sie hatte es gesehen, aus den Augenwinkeln ein störendes Ungleichgewicht bemerkt, nämlich die Asymmetrie der Türlöcher zu den Zellen der Nonnen.
    Es hätten zehn über zehn sein müssen und es waren zehn über neun – eine nackte Mauer, wo unten die zehnte Öffnung gewesen war.
    Die Stille und das Vibrieren … wie das Summen eines Insektes, das in einem Glas gefangen ist,
»… die Schreie der Toten«.
    Blicklos stolperte Adelia durch die Menge und erbrach sich.
    Irgendwer zupfte an ihrem Ärmel, sagte etwas. »Der König …« Der Prior. Er konnte dem Einhalt gebieten. Sie musste Prior Geoffrey finden.
    Das Zupfen wurde eindringlicher. »Der König befiehlt Euch zu sich, Mistress.«
    Im Namen Christi, wie konnten sie das im Namen Christi tun?
    »Der König, Mistress …« Irgendein livrierter Bursche.
    »Zur Hölle mit dem König«, sagte sie. »Ich muss zum Prior.« Sie wurde um die Taille gefasst und mit Schwung auf ein Pferd gesetzt. Es trabte an, und der königliche Bote lief mit den Zügeln in der Hand nebenher. »Könige sollte man lieber nicht zur Hölle schicken, Mistress«, sagte er liebenswürdig, »meistens waren sie schon dort.«
    Es ging über die Brücke, den Hügel hinauf, durch das Burgtor und quer über den Innenhof. Sie wurde vom Pferd gehoben. Im Familiengarten des Sheriffs, in dem Simon aus Neapel beerdigt lag, saß Henry II, der in der Hölle gewesen und zurückgekehrt war, mit gekreuzten Beinen auf derselben Rasenbank, auf der sie mit Rowley Picot gesessen und ihm zugehört hatte, während er ihr von seinem Kreuzzug erzählte. Er nähte mit Nadel und Zwirn einen Jagdhandschuh und diktierte dabei Hubert Walter irgendetwas in die Feder. Der kniete neben ihm, ein tragbares Schreibpult um den Hals gehängt.
    »Ha, Mistress …«
    Adelia warf sich ihm zu Füßen. König oder Prior, Hauptsache, ihr wurde geholfen. »Sie haben sie eingemauert, Mylord. Ich flehe Euch an, lasst das nicht zu.«
    »Wer ist

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