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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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dass sie es nicht tun würde; er begrüßte sie auch nicht – das war nicht nötig. Er erklärte lediglich seine Verantwortung gegenüber den drei Personen aus Salerno, sein Problem und die Lösung, die er sich überlegt hatte.
    Die Frau hörte aufmerksam zu. Sie war weder groß noch dick in ihren Stiefeln aus Aalhaut, mit den muskulösen Armen, die sie über der Schürze verschränkt hatte, dem grauen Haar, das aus der schweißfleckigen Rolle um ihren Kopf hervorlugte, aber sie verströmte die wuchtige weibliche Primitivität einer Sheela-Na-Gig, die den behaglichen, von Büchern gesäumten Raum des Priors in eine Höhle verwandelte.
    »Deshalb brauche ich dich, Gyltha«, endete Prior Geoffrey.
    »Sie
brauchen dich.«
    Stille trat ein.
    »Der Sommer kommt«, sagte Gyltha mit ihrer tiefen Stimme.
    »Im Sommer hab ich mit den Aalen zu tun.«
    Gegen Ende des Frühjahrs tauchten Gyltha und ihr Enkelsohn aus den Sümpfen auf, rollten Fässer voll mit einem Gewimmel von Silberaalen vor sich her und richteten sich in ihrer reetgedeckten Sommerresidenz am Ufer der Cam ein. Und dort tauchten dann aus einem wundersamen Rauch Aale in allen erdenklichen Formen auf – gepökelt, geräuchert und in Aspik – und da sie dank der Rezepte, die nur Gyltha kannte, mit Abstand die besten waren, fanden sie reißenden Absatz.
    »Das weiß ich«, sagte Prior Geoffrey geduldig. Er lehnte sich in seinem wuchtigen Sessel zurück und verfiel in den breiten Dialekt, den man in East Anglia sprach: »Aber das ist eine mordsmäßige Arbeit, Mädchen, und du bist auch nicht mehr die Jüngste.«
    »Du auch nicht, Junge.«
    Sie kannten einander gut. Besser als die meisten. Als ein junger normannischer Priester vor fünfundzwanzig Jahren in Cambridge eingetroffen war, um die Gemeinde von St. Mary zu übernehmen, hatte ihm eine ansehnliche junge Frau aus dem Marschland den Haushalt geführt. Dass sie füreinander vielleicht mehr waren als nur Herr und Bedienstete, hatte niemanden interessiert, denn Englands Haltung gegen über dem Zölibat war tolerant – oder nachlässig, je nach Standpunkt –, und Rom hatte noch nicht damit begonnen, die »Priesterfrauen« so zu verdammen wie heute.
    Der Leibesumfang des jungen Pater Geoffrey schwoll durch Gylthas Kochkunst an, und Gylthas eigener Leibesumfang ebenso, wenngleich nur die beiden wussten, ob Letzteres auch ihrer Kochkunst zuzuschreiben war oder eine andere Ursache hatte. Als Pater Geoffrey jedoch von Gott nach St. Augustine gerufen wurde, hatte Gyltha das Geld abgelehnt, das er ihr anbot, und war wieder in dem Sumpfland verschwunden, aus dem sie gekommen war.
    »Und wenn ich noch ein oder zwei Unterhemden dazugebe?«, sagte der Prior jetzt einnehmend. »Ein bisschen kochen, ein bisschen organisieren, das wäre schon alles.«
    »Fremde«, sagte Gyltha. »Ich halt nix von Fremden.«
    Bei ihrem Anblick musste der Prior an Guthlacs Beschreibung des Sumpfvolkes denken, dem der verdienstvolle Heilige das Christentum nahebringen wollte:
»Große Köpfe, lange Hälse, blasse Gesichter und Zähne wie Pferde. Bewahre uns vor ihnen, o Herr.«
Aber sie hatten die Mittel und den unabhängigen Geist gehabt, um William dem Eroberer länger und erbitterter zu widerstehen als die übrigen Engländer.
    Und es mangelte ihnen auch nicht an Intelligenz. Gyltha besaß sie; sie war die ideale Haushälterin für die Menage, die Prior Geoffrey vorschwebte – einerseits war sie extravagant genug, andererseits war sie den Bürgern von Cambridge bekannt, und sie vertrauten ihr einigermaßen, so dass sie eine Brücke zwischen den beiden Welten bilden konnte. Falls sie zustimmte …
    »Ich war doch auch ein Fremder«, sagte er. »Und du hast mich aufgenommen.«
    Gyltha lächelte, und dieser überraschende Zauber erinnerte den Prior einen Moment lang an ihre gemeinsamen Jahre in dem kleinen Pfarrhaus neben der Kirche St. Mary.
    Er nutzte seinen Vorteil. »Tu es für den kleinen Ulf.«
    »Der macht sich ganz gut in der Schule.«
    »Wenn er mal die Güte hat zu erscheinen.«
    Dass der kleine Ulf in der Stiftsschule angenommen worden war, hatte weniger mit seiner beachtlichen Schläue zu tun, die ihm die Natur mitgegeben hatte, sondern eher mit Prior Geoffreys unbestätigtem Verdacht, dass Gylthas Enkel auch sein eigener war. »Der braucht dringend ein bisschen Erziehung, Mädchen.«
    Gyltha beugte sich vor und legte einen vernarbten Finger auf die Schreibplatte des Priors. »Was machen die hier, Junge? Verrätst du mir

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