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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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gelebt – einen Pillion von Komplikationen auf den Ossa einer ohnehin schon schwierigen Mission gehäuft.
    Aber eine von Adelias Fähigkeiten, die sie im harten Alltag der Schule vervollkommnet hatte, war die, ihre Weiblichkeit fast unsichtbar zu machen, keinerlei Rücksichtnahmen einzufordern und sich nahezu unbemerkt in die überwiegend männliche Zunft einzugliedern. Nur wenn ihre medizinische Kompetenzin Frage stand, merkten die Mitstudenten, dass es eine überaus sichtbare Adelia gab mit einer bissigen Zunge – sie hatte ihnen gut zugehört und auf diese Weise das Fluchen gelernt – und einem noch bissigeren Temperament.
    Bei Simon hatte sie keines von beidem unter Beweis stellen müssen. Er war höflich gewesen und, je länger die Reise dauerte, auch zunehmend erleichtert. Er fand sie bescheiden – eine Beschreibung, die, das hatte Adelia längst festgestellt, meist für Frauen verwendet wurde, die Männern keine Schwierigkeiten bereiteten. Anscheinend war Simons Ehefrau die Fleisch gewordene jüdische Bescheidenheit, und er maß alle anderen Frauen an ihr. Mansur, Adelias anderer Begleiter, erwies sich wie üblich als unschätzbar wertvoll, und bis sie die Küste Frankreichs erreichten, wo Margaret verstorben war, war ihre Reise in süßer Eintracht verlaufen.
    Mittlerweile erinnerte sie nur noch ihre regelmäßige Menstruation daran, dass sie kein geschlechtsloses Wesen war. Als sich das Trio nach der Ankunft in England den Maultierkarren und die Tarnung als fahrende Quacksalber zulegte, hatten sie alle drei nur ein wenig Unbehagen und Amüsement empfunden.
    Es war und blieb jedoch ein Rätsel, warum der König von Sizilien ausgerechnet Simon aus Neapel, einen seiner fähigsten Ermittler, von ihr selbst ganz zu schweigen, damit beauftragt hatte, sich mit einer Notlage zu befassen, in die die Juden einer nassen, kalten kleinen Insel am Rande der Welt geraten waren. Simon wusste es nicht, und sie auch nicht. Ihre Anweisung lautete, dafür zu sorgen, dass die Juden von der Schmach des Mordes reingewaschen wurden, ein Ziel, das nur erreicht werden konnte, wenn sie den wahren Mörder aufspürten.
    Was sie allerdings gewusst hatte, war, dass sie England nicht mögen würde – und genau so war es. In Salerno respektierte man sie als Angehörige der hoch angesehenen Medizinschule,wo höchstens Neulinge ihr Befremden äußerten, wenn sie sahen, dass eine Frau Medizin praktizierte. Hier würde man sie dafür in einem Teich ertränken. Und nachdem sie gerade die Leichen untersucht hatte, war Cambridge für sie zu einem düsteren Ort geworden. Sie hatte schon früher die Folgen eines Mordes gesehen, aber nur selten so grauenhafte wie in diesem Fall. Irgendwo in diesem Land lebte und atmete ein Kinderschlächter.
    Ihr inoffizieller Status würde es noch schwieriger machen, ihn zu finden, zumal sie sich nichts anmerken lassen durfte. In Salerno arbeitete sie, wenn auch ungenannt, mit der Obrigkeit zusammen. Hier hatte sie nur den Prior auf ihrer Seite, und selbst der traute sich nicht, das öffentlich zu machen.
    Schließlich schlummerte sie noch immer erbost ein und träumte dunkle Träume.
    Sie schlief lange, ein Zugeständnis, das anderen Gästen meist nicht gewährt wurde. »Der Prior hat gesagt, Ihr dürftet die Frühandacht verschlafen, weil Ihr so müde wart«, erklärte Bruder Swithin, ein untersetzter kleiner Mann, der für das Gästehaus verantwortlich war, »aber ich soll dafür sorgen, dass Ihr nach dem Aufwachen herzhaft speist.«
    Zum Frühstück in der Küche gab es Schinken, ein seltener Leckerbissen für jemanden, der mit einem Juden und einem Moslem unterwegs war, Käse von den Schafen der Priorei, frisches Brot aus der eigenen Bäckerei, frische Butter und von Bruder Swithin selbst Eingemachtes, ein Stück Aalpastete und Milch noch warm von der Kuh.
    »Ihr wart ab, Mädchen«, sagte Bruder Swithin und schöpfte ihr noch mehr Milch aus dem Fass. »Geht’s wieder besser?«
    Sie lächelte ihn mit einem weißen Milchbart an. »Viel besser.« Sie war wirklich »ab« gewesen, was immer das heißen mochte, aber jetzt waren die Lebensgeister wieder da und Groll undSelbstmitleid verschwunden. Was machte es schon, dass sie in einem fremden Land arbeiten musste? Kinder waren universal. Sie bewohnten einen Staat, der über Nationalitäten erhaben war, und hatten das Recht, von einem ewigen Gesetz beschützt zu werden. Die Grausamkeiten, die Mary, Harold und Ulric erlitten hatten, waren nicht weniger

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