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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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das?«
    »Ich bin doch krank gewesen, nicht? Sie hat mir mein erbärmliches Leben gerettet, das hat sie.«
    »Sie? Ich dachte, der Braune.«
    »Sie war’s. Und auch nicht mit Hexerei. Sie ist ein richtiger Arzt, aber es ist besser, das weiß keiner.«
    Es hatte keinen Zweck, es vor Gyltha geheim zu halten, denn falls sie die drei aufnahm, würde sie es herausfinden. Und außerdem war diese Frau so verschlossen wie die algigen Austern, die sie ihm jedes Jahr schenkte und von denen eine erlesene Auswahl derzeit im Eishaus der Priorei lag.
    »Ich weiß nicht genau, wer die drei geschickt hat«, fuhr er fort,
    »aber sie wollen rausfinden, wer die Kinder umgebracht hat.«
    »Harold.« Gylthas Gesicht zeigte kein Gefühl, aber ihre Stimme wurde sanft. Harolds Vater war einer ihrer Kunden.
    »Harold.«
    Sie nickte.
    »Dann waren’s nicht die Juden?«
    »Nein.«
    »Hab ich mir schon gedacht.«
    Aus Richtung des Kreuzgangs, der die Priorei mit der Kirche verband, rief die Glocke die Brüder zur Vesper.
    Gyltha seufzte: »Unterhemden wie versprochen, und ich übernehme nur die Kocherei.«
    »Benigne. Deo gratias.«
Der Prior stand auf und geleitete Gyltha zur Tür. »Züchtet der alte Tubs noch immer diese stinkigen Hunde?«
    »Stinkiger denn je.«
    »Bring einen mit. Und bind ihn an ihr an. Wenn sie anfängt Fragen zu stellen, könnte das Ärger geben. Man muss ein bisschenauf sie aufpassen. Ach so, keiner von denen isst Schwein. Oder Schellfisch.« Er schlug Gyltha zum Abschied aufs Hinterteil, faltete dann die Hände und machte sich auf den Weg zur Abendandacht in der Kapelle.

    Adelia saß auf einer Bank im Paradies der Priorei, atmete den Duft des Rosmarins ein, der als niedrige Hecke das Blumenbeet zu ihren Füßen säumte, und lauschte den Psalmen der Vesper, die durch die Abendluft über den ummauerten Gemüsegarten und weiter bis zu dem Paradies hier unter den dunkler werdenden Bäumen schwebten. Sie versuchte, den Kopf frei zu bekommen, und ließ die männlichen Stimmen Balsam auf die Verletzung träufeln, die von männlicher Grausamkeit verursacht worden war.
»Mein Gebet möge vor Dir gelten wie ein Rauchopfer«
, sangen sie,
»und das Heben meiner Hände als ein Abendopfer.«
    Sie würden im Gästehaus der Priorei zu Abend essen, wo Prior Geoffrey sie und Simon und Mansur für die Nacht untergebracht hatte. Aber das bedeutete, dass sie gemeinsam mit anderen Reisenden an einem runden Tisch sitzen musste, und ihr war nicht nach belanglosen Gesprächen zumute. Die Gurte ihrer Ziegenledertasche waren fest verschnallt, so dass die Informationen, die die toten Kinder ihr geliefert hatten, zumindest für diesen kurzen Augenblick darin gefangen waren, Kreideworte auf Schiefer. Wenn sie die Gurte löste, und das würde sie morgen tun, dann würden ihre Stimmen herausbrechen, sie anflehen, ihr in den Ohren liegen. Doch heute Nacht mussten selbst sie verstummen. Sie konnte nichts anderes mehr ertragen als die Abendruhe.
    Sie stand erst auf, als es schon so dunkel war, dass sie fast nichts mehr sehen konnte. Sie nahm ihre Tasche und folgte dem Weg, der zu den langen, durch das Kerzenlicht entstandenen Streifen,in denen sich die Fenster des Gästehauses andeuteten, führte.
    Es war ein Fehler, ohne Essen ins Bett zu gehen. Sie lag auf einer schmalen Pritsche in einer schmalen Zelle, die von dem Korridor für weibliche Gäste abging, und ärgerte sich, dass sie überhaupt hier war, ärgerte sich über den König von Sizilien, über dieses Land, fast sogar über die Kinder selbst, weil sie ihr die schwere Last ihrer Todesqualen aufgebürdet hatten.
    »Ich kann die Reise unmöglich antreten«, hatte sie zu Gordi-nus gesagt, als er das Thema erstmals zur Sprache brachte. »Ich habe meine Studenten, meine Arbeit.«
    Aber sie hatte gar keine Wahl gehabt. Die Anforderung eines Experten in Sachen Tod war vom König gekommen, und da er auch über Süditalien herrschte, gab es keine Möglichkeit, sich gegen seinen Befehl zu wehren.
    »Warum gerade ich?«
    »Du entsprichst allen Anforderungen des Königs«, hatte Gor-dinus gesagt. »Ich kenne sonst niemanden, auf den das zutrifft. Master Simon kann sich glücklich schätzen, dich zu bekommen.«
    Simon hatte sich nicht glücklich geschätzt, sondern es vielmehr als Belastung empfunden, das hatte sie sofort gesehen. Trotz ihrer Referenzen hatte die Anwesenheit einer Ärztin, des Arabers in ihrer Begleitung und ihrer weiblichen Gefährtin – Margaret, die gute Margaret hatte da noch

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