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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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unsäglich, weil die drei nicht aus Salerno stammten. Sie waren jedermanns Kinder, sie waren ihre Kinder.
    Adelia verspürte eine Entschlossenheit, wie sie sie noch nie erlebt hatte. Die Welt musste von diesem Mörder gereinigt werden.
»Wer aber Ärgernis gibt einem dieser Kleinen, dem wäre besser, dass ein Mühlstein um seinen Hals gehängt würde …«
    Jetzt war diesem Unhold, obwohl er noch nichts davon wusste, Adelia um den Hals gehängt worden,
Medica Trotula
aus Salerno, Ärztin der Toten, die mit all ihrem Wissen und Können danach trachten würde, ihn zur Strecke zu bringen.
    Sie kehrte in ihre Zelle zurück, wo sie ihre Feststellungen von Schiefer auf Papier übertrug, um später, wieder zurück in Salerno, ihre Befunde ordentlich zusammenfassen zu können – obwohl sie gar nicht wusste, was der König von Sizilien damit anfangen wollte.
    Es war eine schreckliche und mühselige Arbeit. Mehr als einmal musste sie die Feder aus der Hand legen, um sich die Ohren zuzuhalten. Die Zellenwände hallten wider von den Schreien der Kinder.
Seid ruhig, oh, seid ruhig, damit ich ihn aufspüren kann
. Aber sie hatten nicht sterben wollen und ließen sich nicht zum Schweigen bringen.
    Simon und Mansur hatten sich bereits auf den Weg zu der Unterkunft gemacht, die der Prior ihnen in der Stadt besorgt hatte, damit sie ungestörter wären. Es war schon Nachmittag, als Adelia ihnen folgte.
    Sie hielt es für wichtig, das Territorium des Mörders zu erkunden und die Stadt kennen zu lernen, daher war sie angenehm überrascht, dass Bruder Swithin, der mit etlichen neu eingetroffenen Reisenden beschäftigt war, sie ohne Begleitung gehen ließ und dass auf den belebten Straßen von Cambridge Frauen aller Schichten unbegleitet und unverschleiert umhereilten.
    Es war eine fremde Welt. Nur die Studenten von der pythagoreischen Schule, lärmend und mit roten Mützen, schienen ihr vertraut. Studenten waren doch überall auf der Welt gleich.
    In Salerno waren größere Straßen mit erhöhten Gehwegen und Überdachungen zum Schutz gegen die brutale Sonne versehen. Diese Stadt hingegen öffnete sich weit wie eine breite Blüte, um alles Licht aufzufangen, das der englische Himmel zu bieten hatte.
    Zugegeben, es gab düstere Seitengassen mit geduckten, reetge-deckten Häusern, die sich wie Pilze aneinanderdrängten, doch Adelia blieb auf den helleren Hauptstraßen und erkundigte sich ohne Angst um ihren Ruf oder ihren Geldbeutel nach dem Weg, was sie zu Hause niemals getan hätte.
    Hier beugte sich die Stadt nicht der Sonne, sondern dem Wasser. Es lief in Rinnen auf beiden Seiten der Straße, und jede Hütte, jeder Laden war nur über ein Brückchen zu erreichen. Zisternen, Tröge, Tümpel narrten die Augen, so dass sie doppelt sahen. Ein Schwein am Straßenrand war naturgetreu in der Pfütze widergegeben, in der es stand. Schwäne schienen auf sich selbst dahinzugleiten. Enten auf einem Teich schwammen über den überdachten Bogeneingang hinweg, der direkt darüber aufragte. Zahllose Bäche enthielten Bilder von Dächern und Fenstern, Weidenzweige schienen aus den Flüsschen emporzustreben, die sie spiegelten, und alles wurde von der untergehenden Sonne in bernsteinfarbenes Licht getaucht.
    Adelia war sich bewusst, dass Cambridge ihr einen Rhythmus vorgab, aber sie wollte nicht dazu tanzen. Ihr erschien die doppelte Spiegelung vor allem wie ein Zeichen für eine tiefere Duplizität, zweigesichtig, eine Janus-Stadt, wo eine Kreatur, die Kinder tötete, auf zwei Beinen umherlief wie ein ganz normaler Mensch. Bis dieses Wesen entdeckt war, trug ganz Cambridge eine Maske, die sie nicht anschauen konnte, ohne sich zu fragen, ob dahinter ein Wolfsmaul lauerte.
    Und natürlich verlief sie sich. »Könnt Ihr mir sagen, wie ich zum Haus vom alten Benjamin komme?«
    »Was willst du denn da, Mädchen?«
    Das war schon die dritte Person, die sie nach dem Weg fragte, und auch die dritte, die sich erkundigte, was sie da wolle. »Ich habe vor, ein Bordell zu eröffnen«, hätte sich als Antwort angeboten, doch sie hatte bereits festgestellt, dass die Neugier in Cambridge nicht noch gereizt werden musste. Also sagte sie bloß: »Ich würde nur gerne wissen, wo es ist.«
    »Ein Stück weiter die Straße hoch, dann links in die Jesus Lane, das Eckhaus mit Blick auf den Fluss.«
    Als sie sich dem Fluss zuwandte, sah sie eine kleine Menschenmenge, die zuschaute, wie Mansur das letzte Gepäck vom Karren lud und es eine Treppe zur Haustür hochtrug.
    Prior

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