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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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nur wussten, wo ihr Platz war, sondern ihn auch einhielten – und mit Respekt antworteten, wenn sie angesprochen wurden.
    Andererseits, dachte sie, was ist besser? Achtung? Oder Zusammenarbeit?
    Sie holte das Bonbon, das in Marys Haaren geklebt hatte und legte es mitsamt dem Stück Leinen auf den Tisch. Simon wichdavor zurück. Matilda Bs Onkel betastete es mit einem teigigen Finger und schüttelte den Kopf.
    »Seid Ihr sicher?« Adelia hielt eine Kerze schräg, damit mehr Licht darauffiel.
    »Das ist eine Jujube«, sagte Mansur.
    »Mit Zucker, vermutlich«, sagte der Onkel. »Zu teuer für mein Geschäft, wir süßen mit Honig.«
    »Was hast du gesagt?«, fragte Adelia Mansur.
    »Das ist eine Jujube. Die hat meine Mutter immer gemacht, möge Allah Wohlgefallen an ihr finden.«
    »Eine
Jujube«,
sagte Adelia. »Natürlich. Die gibt’s auch im arabischen Viertel in Salerno. O Gott …« Sie sank auf einen Stuhl. »Was ist?« Simon war aufgesprungen.
»Was?«
    »Er hat nicht
Jujus
gesagt, er meinte Jujuben.« Sie presste die Augen fest zusammen, konnte kaum das Bild ertragen, das sich völlig neu gestaltete, das Bild, auf dem ein kleiner Junge sich noch einmal umwandte, ehe er in die Dunkelheit der Bäume verschwand.
    Als sie die Augen wieder öffnete, hatte Gyltha Matilda B und ihren Onkel bereits hinausbugsiert und war wieder zurückgekommen. Verständnislose Gesichter starrten sie an.
    Adelia sagte:
»Das
hat der Kleine St. Peter gemeint. Ulf hat es uns erzählt. Er hat gesagt, Peter habe seinem Freund Will über den Fluss zugerufen, er würde sich mit jemandem wegen der Jujus treffen. Aber das hat er gar nicht. Er hat Jujuben gesagt. Will kannte das Wort nicht und hat Jujus verstanden.«
    Niemand sagte etwas. Gyltha hatte sich einen Stuhl genommen und saß jetzt bei ihnen, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, die Hände an der Stirn.
    Simon brach das Schweigen: »Ihr habt natürlich Recht.«
    Gyltha blickte auf. »Damit hat er sie gelockt, natürlich. Aber ich hab von dem Zeug auch noch nie was gehört.«
    »Könnte sein, dass ein arabischer Händler sie mitbringt«, sagte Simon. »Es sind Bonbons aus dem Osten. Wir suchen nach jemandem mit arabischen Verbindungen.«
    »Vielleicht ein Kreuzritter, der gerne nascht«, sagte Mansur. »Kreuzfahrer haben sie mit nach Salerno gebracht, vielleicht hat sie auch einer mit hierher gebracht.«
    »Das ist richtig«, sagte Simon, wieder ganz aufgeregt. »Das ist richtig. Unser Mörder war im Heiligen Land.«
    Erneut dachte Adelia nicht an Sir Gervase oder Sir Joscelin, sondern an den Steuereintreiber, einen weiteren Kreuzritter.

    Schafe sind wie Pferde, sie würden nie absichtlich auf jemanden treten, der am Boden liegt. Der Schäfer, den man den alten Walt nannte, hatte seine Herde zum Grasen auf den Wandlebury Hill gebracht, wie jeden Tag, und plötzlich sah er, wie sich in dem Meer aus Wolle eine Lücke auftat, als hätte ein unsichtbarer Prophet es geteilt. Als er die Stelle erreichte, wo die Tiere anscheinend einem Hindernis ausgewichen waren, hatte sich das Meer bereits wieder geschlossen.
    Aber sein Hund hatte angefangen zu heulen.
    Der Anblick der toten Kinder, alle drei mit einem merkwürdigen geflochtenen Zeichen auf der Brust, hatte den Verlauf eines Lebens zerrissen, in dem der einzige Feind schlechtes Wetter war oder auf vier Beinen kam und verjagt werden konnte.
    Jetzt war der alte Walt dabei, es zu flicken. Er hatte die trockenen, zerfurchten Hände über dem Hirtenstab gefaltet, einen Sack über den gebeugten Kopf und die Schultern gelegt, und starrte mit tief liegenden Knopfaugen auf das Gras, wo die Kinder gelegen hatten, während er vor sich hin murmelte.
    Ulf, der in der Nähe saß, sagte, der alte Mann bete zur Lieben Frau. »Damit sie die Stelle heil macht oder so.«
    Adelia hatte sich in einigen Schritten Entfernung ein Sitzplätzchen im Gras gesucht, mit dem Aufpasser an ihrer Seite. Sie hatte versucht, dem Schäfer Fragen zu stellen, doch er hatte sie nicht gesehen, obwohl sein Blick über sie hinweggeglitten war. Sie hatte
gesehen
, dass er sie nicht sah, als wäre eine fremdländische Frau so weit außerhalb seiner Erfahrungswelt, dass sie für ihn unsichtbar war.
    Somit blieb es Ulf überlassen, der wie der alte Walt aus den Sümpfen stammte und fest zu der Landschaft gehörte.
    Und was für eine seltsame Landschaft. Zu ihrer Linken fiel das Gelände ab zum flachen Marschland und dem Meer aus Erlen und Weiden, das seine Geheimnisse bewahrte.

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