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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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was.« Ulf war auf einen länglichen Schädelknochen gestoßen.
    »Gut gemacht.« Auch auf ihrer Seite des Lochs, das sie inzwischen gegraben hatten, stießen Adelias Finger auf Knochen. »Wir müssen die hinteren Viertel finden.«
    Der alte Walt hatte es ihnen leicht gemacht. In der Absicht, denGeistern seiner Schafe Frieden zu schenken, hatte er die Kadaver säuberlich aufgereiht, wie tote Soldaten auf einem Schlachtfeld.
    Adelia zog eines der Skelette heraus, setzte sich hin, legte das Schwanzende über ihre Knie und wischte die Kreide ab. Sie musste das Ende eines weiteren Regenschauers abwarten, bis das Licht hell genug war und sie ihren Fund inspizieren konnte. Schließlich war es so weit.
    Leise sagte sie: »Ulf, hol Master Simon und Mansur.«
    Die Knochen waren sauber, und es klebte keine Wolle mehr daran, denn die Tiere lagen schon lange Zeit hier. An den Stellen, wo bei einem Schwein – dem einzigen Tierskelett, mit dem sie sich auskannte – das Becken und das Schambein wären, entdeckte sie furchtbare Beschädigungen. Der alte Walt hatte Recht gehabt. Das waren keine Gebissabdrücke. Das waren Stichwunden.
    Als der Junge weg war, nahm sie ihre Tasche, löste das Zugband, holte die kleine Schiefertafel heraus, die sie immer bei sich trug, und begann zu zeichnen.
    Die Furchen in diesen Knochen waren die gleichen wie die, die den Kindern beigebracht worden waren, vielleicht nicht mit demselben Messer, aber einem ganz ähnlichen, grob facettiert, wie bei einem flachen Stück Holz, das angespitzt wurde.
    Was war das bloß für eine Höllenwaffe? Bestimmt kein Holz. Keine Stahlklinge, nicht unbedingt Eisen, dafür waren die Furchen zu uneben. Aber auf jeden Fall scharf, furchtbar scharf – die Wirbelsäule des Tieres war durchtrennt worden.
    Hatte der Mörder seine grässliche sexuelle Wut zuerst an diesen Tieren ausgelassen? An wehrlosen Geschöpfen? Er nahm stets die Wehrlosen.
    Aber wieso die Unterbrechung von sechs, sieben Jahren, bis er im letzten Jahr erneut zuschlug? Derartige zwanghafte Triebeließen sich doch bestimmt nicht so lange unterdrücken. Vermutlich war das auch nicht der Fall gewesen; weitere Tiere waren anderswo getötet worden, und man hatte einen Wolf dafür verantwortlich gemacht. Wann hatten Tiere ihm nicht mehr genügt? Wann war er zu Kindern übergegangen? War der Kleine St. Peter sein erstes Opfer?
    Er hat die Gegend verlassen, dachte sie.
Ein Schakal ist und bleibt ein Schakal.
Es hat andere Tote an anderen Orten gegeben, aber auf dem Hügel da oben mordet er nach wie vor am liebsten. Tanzt er auch dort? Er war weg, und jetzt ist er zurückgekommen.
    Adelia drehte ihre Tafel zum Schutz vor dem wieder einsetzenden Regen um und legte den Knochen beiseite. Dann streckte sie sich auf dem Bauch aus, streckte die Hand in die Grube und suchte nach weiteren Knochen.
    Irgendwer wünschte ihr einen guten Morgen.
    Er ist zurückgekommen
.
    Einen Augenblick lang rührte sie sich nicht, dann rollte sie sich halb auf den Rücken, unbeholfen und wehrlos, die Hände auf den Knochen in der Grube hinter ihr, um zu verhindern, dass sie mit dem Oberkörper darauffiel.
    »Sprecht Ihr wieder mit Knochen?«, fragte der Steuereintreiber interessiert. »Was sagen die hier? Bäh?«
    Adelia bemerkte, dass ihr Rock hochgerutscht war und eine beträchtliche Menge nacktes Bein zeigte, doch so, wie sie dalag, war sie außerstande, ihn herunterzuziehen.
    Sir Rowley beugte sich zu ihr hinunter, schob die Hände unter ihre Achseln und hob sie auf die Beine wie eine Puppe. »Ein weiblicher Lazarus aus dem Grabe«, sagte er, »inklusive Grabesstaub.«
    Er fing an, sie abzuklopfen, und eine Wolke säuerlich riechende Kreide stieg auf.
    Sie stieß seine Hand weg, jetzt ohne Furcht, aber wütend, sehr wütend. »Was macht Ihr hier?«
    »Spazieren gehen, für meine Gesundheit, Doktor. Müsste doch in Eurem Sinne sein.«
    Er strotzte vor Gesundheit und guter Laune. Er war das Auffälligste in dieser grauen Landschaft, rote Wangen und roter Umhang. Er sah aus wie ein gigantisches Rotkehlchen. Er nahm seine Mütze für eine schwungvolle Verbeugung ab und hob mit derselben Bewegung zugleich ihre Tafel auf. Mit sichtlicher Ungeübtheit klappte er sie auf und warf einen Blick auf die Zeichnungen.
    Schlagartig wurde er ernst. Er bückte sich und starrte auf das Skelett. Langsam richtete er sich wieder auf. »Wann ist das passiert?«
    »Vor sechs oder sieben Jahren«, sagte sie.
    Sie dachte: Warst du das? Lauert Wahnsinn hinter

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