Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
Vom Netzwerk:
mitten in der Halle am unteren Ende, wenn auch immer noch mit deutlichem Abstand zu den Leibeigenen, die man zuließ, um Christi Gebot von derSpeisung der Armen zu erfüllen. Die noch Ärmeren scharten sich im Hof um ein Kohlebecken und warteten auf die Speisereste.
    Rechts von ihr ließ sich der Jäger Hugh nieder, das Gesicht so teilnahmslos wie immer, obwohl er sich einigermaßen höflich vor ihr verbeugte. Ein ihr unbekannter älterer kleiner Mann tat es ihm gleich und nahm dann links von ihr Platz.
    Sie war bestürzt, als sie sah, dass Bruder Gilbert ihr direkt gegenübersaß. Ihm erging es ebenso.
    Tranchierbretter wurden herumgereicht, und Eltern gaben ihren Sprösslingen verstohlen einen Klaps auf die Hände, wenn sie ungeduldig ein Stück Brot abbrechen wollten, denn noch war die Tafel nicht eröffnet. Zuvor musste Sir Joscelin seiner Lehnsherrin, Priorin Joan, feierlich Treue schwören, was er auf einem Knie und mit der Überreichung der Pacht tat, sechs milchweiße Tauben in einem goldenen Käfig.
    Prior Geoffrey musste das Tischgebet sprechen. Weinbecher mussten gefüllt werden, um einen Trinkspruch auf Thomas von Canterbury und seinen neuen ruhmreichen Mitmärtyrer auszubringen, den Kleinen Peter aus Trumpington, der ja der eigentliche Anlass des Festes war. Ein merkwürdiger Brauch, dachte Adelia, als sie aufstand, um auf die Gesundheit der Toten zu trinken.
    Ein schriller Schrei durchschnitt das respektvolle Gemurmel. »Der Ungläubige beleidigt unsere Heiligen.« Roger aus Acton deutete mit triumphierender Empörung auf Mansur. »Er trinkt mit Wasser auf sie.«
    Adelia schloss die Augen. Gott, bitte mach, dass er das Schwein nicht ersticht.
    Aber Mansur blieb ruhig und nahm einen Schluck von seinem Wasser. Sir Joscelin meldete sich zu Wort und sprach für alle deutlich hörbar einen Tadel aus: »Sein Glaube verbietet esdiesem Herrn, Alkohol zu trinken, Master Roger. Und wenn Ihr keinen vertragt, schlage ich vor, Ihr folgt seinem Beispiel.« Gut gemacht. Acton sank auf seine Bank zurück. Adelias Gastgeber stieg in ihrem Ansehen.
    Aber lass dich nicht verzaubern, ermahnte sie sich selbst.
Memento mori
. Wörtlich, gedenke des Todes. Er könnte der Mörder sein; er ist Kreuzfahrer. Genau wie der Steuereintreiber.
    Und das war ein weiterer Mann oben am Tisch. Sir Gervase beobachtete sie, seit sie die Halle betreten hatte.
    Bist du es?
    Adelia war inzwischen davon überzeugt, dass der Mörder der Kinder an einem Kreuzzug teilgenommen hatte. Nicht nur weil das Bonbon sich als arabische Jujube entpuppt hatte, sondern auch weil die Pause zwischen der Abschlachtung der Schafe und der Ermordung der Kinder genau in den Zeitraum fiel, als Cambridge auf den Aufruf aus Outremer hin einige Männer entsandt hatte.
    Der Haken war bloß, dass in der Zeit so viele fort gewesen waren …
    »Wer im Jahr des großen Sturms die Stadt verlassen hat?«, hatte Gyltha wiederholt, als sie gefragt wurde. »Nun ja, zum Beispiel Ma Mills Tochter, weil sie sich von dem Hausierer hatte schwängern lassen …«
    »Männer, Gyltha, Männer.«
    »Oh, da ist eine ganze Reihe junger Männer losgezogen. Schließlich hatte der Abt von Ely dazu aufgerufen, das Kreuz zu nehmen. Bestimmt Hunderte, die sich mit Lord Fitzgilbert auf den Weg zu den Heiligen Stätten gemacht haben.«
    Es war ein schlechtes Jahr gewesen, erinnerte sich Gyltha. Der große Sturm hatte das Getreide vernichtet, Überschwemmungen hatten Menschen und Gebäude weggespült, die Sümpfe wurden überflutet, selbst die Cam trat verheerend über dieUfer. Gottes Zorn war auf die sündigen Menschen von Cambridgeshire niedergekommen. Nur ein Kreuzzug gegen Seine Feinde konnte Ihn wieder versöhnlich stimmen.
    Lord Fitzgilbert, der sich in Syrien Land aneignen wollte, weil seine Besitzungen überschwemmt worden waren, hatte die Fahne Christi auf dem Marktplatz von Cambridge aufgestellt. Junge Männer, deren Lebensgrundlage durch den Sturm zerstört worden war, schlossen sich ihm an, ebenso die Ehrgeizigen, die Abenteuerlustigen, abgewiesene Freier und Ehemänner mit zankhaften Frauen. Gerichte stellten Verbrecher vor die Wahl, ins Gefängnis zu gehen oder das Kreuz zu nehmen. Priester sprachen Männer in der Beichte von Sünden frei – falls sie sich dem Kreuzzug anschlossen.
    Schließlich zog ein kleines Heer von dannen.
    Lord Fitzgilbert kehrte im Sarg zurück und lag jetzt in seiner eigenen Kapelle unter einem Marmorbildnis von sich, die gepanzerten Beine gekreuzt, zum

Weitere Kostenlose Bücher