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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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Trauerkleidung zu tragen, Euer Äußeres zu vernachlässigen. O Tochter Evas, hülle dich in Bußkleidung, damit gesühnt werde, was Eva verschuldet hat, nämlich der schmähliche Sündenfall des Menschen …«
    »War nicht ihre Schuld«, sagte die Nonne zu seiner Linken. »Der Sündenfall des Menschen war nicht ihre Schuld. Und meine auch nicht.«
    Sie war eine magere Frau mittleren Alters, die ausgiebig dem Wein zugesprochen hatte, genau wie Bruder Gilbert. Adelia gefiel ihr flottes Mundwerk.
    Der Mönch wandte sich ihr zu. »Schweigt, Frau. Wollt Ihr dem großen heiligen Tertullian widersprechen? Ihr, aus Eurem Haus des lockeren Lebenswandels?«
    »Und ob«, sagte die Nonne frohlockend, »wir haben einen besseren Heiligen als ihr. Wir haben den Kleinen St. Peter. Ihr habt gerade mal den großen Zeh von St. Etheldreda.«
    »Wir haben ein Stück vom Wahren Kreuz«, rief Bruder Gilbert.
    »Wer nicht?«, sagte die Nonne auf der anderen Seite von ihm. Bruder Gilbert stieg von seinem hohen Ross herab in das Blut und den Staub des Schlachtfeldes. »Der Kleine St. Peter wird euch einen Dreck nützen, wenn der Erzdiakon euer Kloster überprüft, du Schlampe. Und das wird er. Oh, ich weiß, was in St. Radegund vor sich geht – Liederlichkeit, das heilige Offizium vernachlässigt, Männer in euren Zellen, Jagdgesellschaften, Fahrten flussaufwärts, wohl kaum, um eure Einsiedler zu verpflegen. Oh, ich weiß Bescheid.«
    »Aber wir bringen ihnen wirklich Vorräte«, sagte die Nonne rechts von Bruder Gilbert, die so drall war wie ihre Schwester in Gott dünn. »Und wenn ich anschließend meine Tante besuche, was schadet das?«
    Ulfs Stimme ertönte erneut in Adelias Kopf.
Schwester Speckgesicht bringt den Einsiedlern Essen, sieh dir bloß den Hintern an
. Sie blickte die Nonne aus zusammengekniffenen Augen an. »Ich habe Euch gesehen«, sagte sie heiter, »ich habe gesehen, wie Ihr mit einem Stechkahn den Fluss hinaufgefahren seid.«
    »Ich wette, Ihr habt nicht gesehen, wie sie zurückgekommen ist«, zischte Bruder Gilbert wütend. »Sie bleiben die ganze Nacht weg. Sie geben sich der Zügellosigkeit und Lust hin. In einem anständigen Haus würden sie dafür so lange ausgepeitscht, bis ihnen der Hintern blutet, aber wo ist ihre Priorin? Auf der Jagd.«
    Ein Mann, der hasst, dachte Adelia, ein hasserfüllter Mann. Und ein Kreuzfahrer. Sie beugte sich über den Tisch. »Mögt Ihr Jujuben, Bruder Gilbert?«
    »Was? Wie? Nein, ich kann Bonbons nicht ausstehen.« Er wandte den Blick von ihr ab, um seine Anklage gegen St. Radegund fortzusetzen.
    Eine leise, traurige Stimme sagte rechts von Adelia: »Unsere Mary mochte Bonbons.« Zu ihrem Entsetzen liefen dem Jäger Hugh Tränen über die hohlen Wangen und fielen ihm ins Essen.
    »Nicht weinen«, sagte sie. »Nicht weinen.«
    Der Schuhmacher links von ihr flüsterte: »Sie war seine Nichte. Die kleine Mary wurde ermordet. Das Kind seiner Schwester.«
    »Es tut mir leid.« Adelia berührte die Hand des Mannes. »Es tut mir so leid.«
    Trübe, unendlich traurige blaue Augen blickten sie an. »Ich krieg ihn. Ich reiß ihm die Leber raus.«
    »Wir beide werden ihn kriegen«, sagte sie und empfand Gilberts Tirade in diesem Augenblick als unglaublich störend. Sie streckte einen Arm über den Tisch und stieß dem Mönch einen Finger gegen die Brust. »Nicht der
heilige
Tertullian.«
    »Was?«
    »Tertullian. Den Ihr über Eva zitiert habt. Der war kein Heiliger. Habt Ihr gedacht, er ist ein Heiliger? Ist er nicht. Er hat der Kirche den Rücken gekehrt. Er war …«, sie suchte nach einem passenden Ausdruck, »… heterodox. Genau, das war er. Hat sich den Montanisten angeschlossen. Folglich … wurde er nie heiliggesprochen.«
    Die Nonnen freuten sich. »Das habt Ihr nicht gewusst, was?«, sagte die Dünne.
    Bruder Gilberts Erwiderung ging in einem erneuten Trompetenstoß unter, der einen weiteren Gang ankündigte.
    »Weiße Käse und weiße Fleisch mit Man-deln, kandierte Quitten, Brach-’ühn in ’o-nisch, Taubenpastete, Terrine de legumes, Petitsperneux …«
    »Was ist Pettipernö?«, fragte der Jäger, noch immer weinend.
    »Kleine verlorene Eier«, erwiderte Adelia und begann haltlos zu schluchzen.
    Der Teil ihres Gehirns, der den Kampf gegen den Met noch nicht ganz verloren hatte, hob sie auf die Beine und trug sie zu einer Anrichte, auf der ein Krug Wasser stand. Sie nahm ihn und strebte zur Tür, gefolgt vom Aufpasser.
    Der Steuereintreiber sah ihr nach.
    Im Garten waren

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