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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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gibt da ein Problem, Sir Rowley. Ehrlich gesagt, ich bin überrascht, dass es nicht schon früher aufgetreten ist, aber offenbar und glücklicherweise, wie ich sagen darf, ist noch niemand von Rabbi Gotsces Volk hier in der Burg in dem ganzen Jahr, das sie hier eingesperrt sind, gestorben …«
    »Das muss an der guten Küche liegen«, sagte Rabbi Gotsce mit seiner tiefen Stimme, und wenn er einen Scherz gemacht hatte, so war das seinem Gesicht nicht anzusehen.
    »Daher«, fuhr der Prior fort, »und ich gestehe, dass es auch meine Schuld ist, sind bislang keine entsprechenden Vorkehrungen getroffen worden …«
    »Die Burg hat keinen Friedhof für Juden«, sagte Rabbi Gotsce. Prior Geoffrey nickte. »Leider nimmt Father Alcuin die gesamte Burg als christlichen Boden in Anspruch.«
    Sir Rowley verzog das Gesicht. »Vielleicht können wir ihn heute Abend runter in die Stadt schmuggeln.«
    »Cambridge hat keinen Friedhof für Juden«, sagte Rabbi Gotsce.
    Sie alle starrten ihn an, mit Ausnahme des Priors, der beschämt zu Boden blickte.
    »Wo sind denn dann Chaim und seine Frau beerdigt worden?«, fragte Rowley.
    Zögernd sagte der Prior: »In ungeweihter Erde, bei den Selbstmördern. Alles andere hätte einen weiteren Aufruhr entfacht.«
    Durch die offene Turmtür, vor der sie standen, war zu sehen, dass dort irgendetwas vor sich ging. Frauen mit Waschschüsseln und Tüchern auf den Armen hasteten die Wendeltreppe hinauf und hinunter, während eine Gruppe Männer in der Eingangshalle stand und sich angespannt unterhielt. Adelia sah Yehuda Gabriol in ihrer Mitte stehen und sich an die Stirn fassen.
    Sie tat es ihm nach, denn als wäre nicht schon alles schlimm genug, kam jetzt noch eine weitere Komplikation hinzu: Irgendwer litt große Schmerzen. Das Gespräch zwischen dem Prior, dem Rabbi und dem Steuereintreiber wurde immer wieder von einem lauten und tiefen Geräusch unterbrochen, das aus einem der oberen Turmfenster drang, ein Zwischending aus Stöhnen und Keuchen, wie von einem schadhaften Blasebalg. Die Männer achteten nicht darauf.
    »Wer ist das?«, fragte sie, doch niemand antwortete ihr.
    »Wo bringt ihr denn für gewöhnlich eure Toten hin?«, fragte Rowley den Rabbi.
    »Nach London. Der König ist so gütig und lässt uns einen Friedhof nicht weit vom jüdischen Viertel benutzen. Das war schon immer so.«
    »Ist das der einzige?«
    »Ja. Wenn wir in York oder an der Grenze zu Schottland sterben,in Devon oder in Cornwall, müssen wir mit dem Sarg nach London. Wir müssen natürlich eine besondere Gebühr bezahlen. Und auch die Hunde kosten Geld, die uns anbellen, wenn wir durch die Städte ziehen.« Er lächelte freudlos. »Eine teure Angelegenheit.«
    »Das wusste ich nicht«, sagte Rowley.
    Der kleine Rabbi verbeugte sich höflich. »Wie denn auch?«
    »Wir stecken in der Klemme«, sagte Prior Geoffrey. »Der arme Leichnam darf auf dem Burggelände nicht bestattet werden, ich bezweifele jedoch, dass wir uns die Leute aus der Stadt lange genug vom Hals halten können, um ihn sicher nach London zu schmuggeln.«
    London? Schmuggeln? Adelias Kummer schlug in Wut um, die sie nur mit Mühe zügeln konnte.
    Sie trat vor. »Vergebt mir, aber Simon aus Neapel ist keine Unannehmlichkeit, deren man sich entledigen muss. Er wurde vom König von Sizilien hergeschickt, um einen Mörder in eurer Mitte zu entlarven, und wenn der Mann hier Recht hat«, sie zeigte auf den Steuereintreiber, »ist er auch dafür gestorben. Im Namen Gottes, so gebt ihm wenigstens eine würdige Bestattung.«
    »Sie hat Recht, Prior«, sagte Gyltha. »Er war ein guter kleiner Mann.«
    Die beiden Frauen brachten die Männer in Verlegenheit. Noch unangenehmer wurde es, als aus dem oberen Fenster wieder ein Stöhnen zu vernehmen war, das plötzlich in einen unverkennbar weiblichen Schrei umschlug.
    Rabbi Gotsce fühlte sich zu einer Erklärung genötigt. »Mistress Dina.«
    »Das Kind?«, fragte Adelia.
    »Ein wenig zu früh«, erwiderte der Rabbi, »aber die Frauen haben Hoffnung, es sicher auf die Welt zu holen.«
    Sie hörte Gyltha sagen: »Der Herr gibt, und der Herr nimmt.«
    Adelia fragte nicht, wie es Dina ging, denn im Augenblick ging es Dina offenbar schlecht, und ihre Schultern sanken ein wenig herab, als ihre Wut sich legte. Irgendetwas würde also geschenkt werden, etwas Neues, Gutes in einer bösen Welt.
    Der Rabbi sah es. »Seid Ihr Jüdin, Madam?«
    »Ich wurde von einem Juden erzogen. Ich bin nichts anderes als Simons

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