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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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hatten sie inzwischen die Burg erreicht. Heute waren im Innenhof keine Juden, sondern noch mehr Amtmänner, Dutzende, wie Ungezieferbefall. Der Steuereintreiber beantwortete gerade Gylthas Frage. »Königliche Bedienstete, sie sind wegen der Assise hier. Es dauert Tage, um alles für die reisenden Richter vorzubereiten. Kommt, hier entlang. Sie haben ihn in die Kapelle gebracht.«
    Das hatte man zwar getan, doch als die drei eintraten, war die Kapelle leer, nur der Burggeistliche schritt über den Mittelgang und schwang eifrig ein Weihrauchfässchen, um das Gotteshaus erneut zu weihen. »Habt Ihr gewusst, dass es die Leiche eines Juden war, Sir Rowley? Also so was! Wir dachten, der Verstorbene wäre Christ, als wir ihn aufbahrten …« Father Alcuin nahm den Steuereintreiber am Arm und führte ihn ein Stück weg, damit die Frauen nicht mithören konnten. »Als wir ihn entkleidet haben, sahen wir den Beweis. Er war beschnitten.«
    »Was ist mit ihm geschehen?«
    »Er konnte ja wohl nicht hierbleiben, gütiger Himmel. Ich habe ihn wegschaffen lassen. Er kann nicht hier bestattet werden, auch wenn die Juden noch so rumkrakeelen. Ich habe den Prior verständigt, obwohl es eigentlich eine Sache des Bischofs ist, aber Prior Geoffrey versteht sich darauf, die Israeliten zu beruhigen.«
    Father Alcuin erblickte Mansur und erbleichte: »Bringt Ihr noch einen Heiden in dieses heilige Haus? Raus mit ihm, raus.«
    Sir Rowley sah die Verzweiflung in Adelias Gesicht, packte den kleinen Priester vorn an der Robe und hob ihn ein Stück vom Boden. »Wohin ist der Leichnam gebracht worden?«
    »Ich weiß es nicht. Lasst mich runter, Ihr Unhold.« Sobald er wieder auf den Füßen stand, sagte er trotzig: »Und es kümmertmich auch nicht.« Er machte sich wieder daran, rasselnd das Weihrauchfässchen zu schwingen, und verschwand in einer Wolke aus Weihrauch und schlechter Laune.
    »Sie behandeln ihn nicht mit Respekt«, sagte Adelia. »Ach, Picot, sorgt dafür, dass er eine richtige jüdische Beerdigung bekommt.« Auch wenn er den Eindruck eines kosmopolitischen Humanisten gemacht hatte, im Grunde war Simon aus Neapel ein gläubiger Jude gewesen, und ihre mangelnde Frömmigkeit hatte ihn stets beunruhigt. Die Vorstellung, dass sein Leichnam lediglich verscharrt werden würde, ohne die Bestattungsriten seiner Religion, war ihr unerträglich.
    »Das ist nich richtig«, pflichtete Gyltha bei. »Wie in der Bibel steht:
›Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.‹«
    Das war vielleicht Blasphemie, aber es wurde mit Entrüstung und Trauer gesagt.
    »Ladys«, sagte Sir Rowley Picot, »und wenn ich deshalb bis zum Heiligen Geist muss, Master Simon bekommt eine ehrwürdige Bestattung.« Er eilte davon und kam wieder. »Wie es aussieht, haben die Juden ihn bereits geholt.«
    Er ging zum Turm der Juden. Während sie ihm folgten, schob Adelia ihre Hand in die der Haushälterin.
    Prior Geoffrey stand an der Tür und sprach mit einem Mann, den Adelia noch nie gesehen hatte, in dem sie aber sogleich einen Rabbi erkannte. Es lag nicht an den Locken oder dem langen Bart, und er war so ähnlich und genauso schäbig gekleidet wie die anderen Juden. Es lag an den Augen: Sie sahen gelehrt aus; strenger als die von Prior Geoffrey, aber in ihnen lag das gleiche, unendliche Wissen und eine müdere Belustigung. Männer mit solchen Augen hatten mit ihrem Ziehvater freundlich über das jüdische Gesetz debattiert. Ein talmudischer Gelehrter, dachte sie, und war erleichtert. Er würde sichum Simons Leichnam kümmern, wie Simon es sich gewünscht hätte. Und da es verboten war, würde er nicht erlauben, dass der Leichnam geöffnet würde, ganz gleich, was Sir Rowley unternahm – und auch das war für Adelia eine Erleichterung.
    Prior Geoffrey hatte ihre Hände ergriffen. »Mein gutes Kind, was für ein Schlag, was für ein Schlag für uns alle. Für Euch muss der Verlust unermesslich sein. Bei Gott, und wie ich den Mann gemocht habe. Wir haben uns zwar nur kurz gekannt, aber ich habe gespürt, was für eine gute Seele Master Simon aus Neapel war, und ich trauere um ihn.«
    »Prior, er muss nach jüdischem Gesetz bestattet werden, und das bedeutet, noch heute.« Einen Leichnam länger als vierundzwanzig Stunden über der Erde zu behalten, kam einer Demütigung gleich.
    »Ah, was das betrifft …« Prior Geoffrey war beklommen. Er wandte sich an den Steuereintreiber, genau wie der Rabbi – das war Männersache. »Es

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