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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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kostspieliger, desto förderlicher für das Image.
    »Was ist los mit dir? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen«, zischte Isobel ihr leise ins Ohr.
    »Mir geht es gut«, entgegnete Zoe und wollte auf die Treppe zum Obergeschoss zusteuern, als hinter ihr die Stimme der Kundin erklang.
    »Und Sie sorgen also dafür, dass man selbst im Tod noch ansehnlich wirkt?« Die Frau fuhr sich mit der Hand über die Wange. Der Diamantring an ihrem Ringfinger funkelte wie ein boshaft grinsender Kobold.
    »Sie möchten, dass ich Sie so herrichte, als lebten Sie noch?«, fragte Zoe und hörte, wie Isobel neben ihr scharf die Luft einsog.
    Doch die Kundin kicherte hinter vorgehaltener Hand. Ein feines Faltennetz zog sich über ihre sonnengebräunten Wangen. »Natürlich nicht schon bald, sondern erst in vielen, vielen Jahren. Man sollte eben in allen Dingen des Lebens Vorsorge treffen.«
    »Wie meine Mutter Ihnen sicher bereits erklärt hat, gibt es eine ganze Reihe von thanatologischen Möglichkeiten. Von kosmetischen Wiederherstellungen bis hin zu aufwendigen Rekonstruktionen habe ich bisher hervorragende Ergebnisse erzielt«, erwiderte Zoe bemüht freundlich.
    Die Mundwinkel der Frau rutschten nach unten. »Ich verstehe nicht, was Sie meinen.« Sie blinzelte hilfesuchend zu Zoes Mutter hinüber.
    Sofort eilte Isobel herbei, drängte Zoe beiseite und setzte zu einem ablenkenden Redeschwall an, der selbst einem Alzheimerkranken die Erinnerung zurückgebracht hätte. Wenn die Frau erst einmal den Fängen von Zoes Mutter entkommen wäre, würde sie nicht mehr wissen, wo ihr der Kopf stand. Zoes Bemerkungen würde sie bis dahin jedenfalls vergessen haben. Falls das nicht bereits geschehen war. Tatsächlich unterhielten sich die beiden Frauen kurz darauf angeregt und nahmen in der Sitzecke Platz.
    Zoe nutzte die Gelegenheit, um sich endlich zurückzuziehen.

    Im Dachgeschoss angekommen, betrat Zoe ihr Atelier. Der Geruch von Farbe hing in der Luft. Sonnenstrahlen durchfluteten den weitläufigen Raum durch große Dachschrägenfenster. Auf der gegenüberliegenden Seite füllten zahlreiche Totenmasken die Einbauregale. Der Friede, den die schlafenden Gesichter ausstrahlten, übertrug sich auf Zoe. Der Raum beruhigte ihr Gemüt, deshalb hielt sie sich so gern hier auf. Feine Staubpartikel flirrten wie Silberregen durch die Luft und legten einen überirdischen Hauch auf die reglosen Mienen.
    Bedächtig schritt Zoe durch ihr Reich, strich mit den Fingern über alabasterfarbene Gipswangen und bewunderte die fein herausgearbeiteten Poren an einem fertigen Positivabdruck aus Bronze. Die filigranen Gesichtszüge der jungen Frau würden bis in die Ewigkeit im glänzenden Metall erhalten bleiben. Es war bedauerlich, dass ihre Familie keinen Wert darauf legte, das Antlitz ihrer verstorbenen Tochter mit dieser dreidimensionalen Maske zu würdigen. Für Zoe bildeten sie alle einzigartige Schätze, Zeugen des letzten Atemzuges eines Menschen. Dennoch verwendete sie selten Bronze, weil die Kosten den Rahmen eines Hobbys sprengten. Aufträge für Totenmasken waren rar, doch sie hoffte, dass dieses ehrenwerte Ritual der Totenehrung in Zukunft einen Aufschwung erfuhr.
    Wenn sie von der würdevollen Ausstrahlung eines Verstorbenen fasziniert war, konnte sie nicht widerstehen und goss eine Maske aus Bronze. Das Material war prädestiniert dafür, Details genau darzustellen, was umso mehr geschah, nachdem sie die Oberfläche patiniert hatte, um die gewünschte Färbung zu erzielen. Dabei kam es Zoe nicht darauf an, dass die Toten jung waren, sondern auf Schönheit im Sinne des Betrachters. Das konnte auch das bärtige Antlitz mit aristokratischer Nase sein. So zierten die edlen Legierungen nur in Abständen ihre Regale zwischen zahlreichen Gips- und Silikonmasken. Eigentlich war die Bezeichnung »Maske« irreführend, denn eine solche bedeckte den Großteil eines Gesichtes, während die Totenmasken genau das Gegenteil vollbrachten. Sie zeigten den einzigartigen Augenblick des Todes, den reinen Seelenfrieden. Oftmals war das mehr, als ein Gesicht zu Lebzeiten widerzuspiegeln vermochte.
    Sie griff nach dem in ein Tuch eingehüllten Negativabdruck und begab sich zu ihrem Arbeitstisch. Einen Moment betrachtete Zoe bedächtig den Abdruck von Frau Sonders, der von nun an den Weg zu einer namenlosen Skulptur in ihrem Regal einnehmen würde. Ein Kunstwerk.
    In einer Schüssel rührte sie die Gipsmasse an. Für bezahlte Aufträge benutzte sie

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