Die Totenmaske
erinnerte sich, wie sie aus dem Augenwinkel noch mitbekommen hatte, dass ihre Mutter aufgetaucht und so zielstrebig auf Herrn Nauen zugesteuert war wie ein Racheengel. Zoe musste dieses Erlebnis erfolgreich verdrängt haben, denn sie hatte Isobel nie danach gefragt, was damals zwischen ihr und Herrn Nauen vorgefallen war.
Das Knacken in der Leitung ließ Zoe zusammenfahren.
»Nau-en.« Die sonore männliche Stimme meldete sich gedehnt.
»Bestattungsunternehmen Lenz«, stellte Zoe sich mit sachlichem Tonfall vor. Bevor sie weiterreden konnte, ergriff Herr Nauen das Wort.
»Ah, Zoe, ich wollte dich gerade anrufen. Meine Gattin hat gegenüber deiner Mutter wohl ein wenig die Contenance verloren.«
Zoe versuchte, die saloppe Anredeform zu ignorieren und den geschäftlichen Teil des Gesprächs im Auge zu behalten. Herr Nauen kannte sie seit ihrer Schulzeit, da konnte sie kaum erwarten, von ihm gesiezt zu werden.
»Ihre Frau hat angedeutet, dass Sie in Erwägung ziehen, ein anderes Bestattungsunternehmen zu beauftragen. Ich wollte diesbezüglich mit Ihnen Rücksprache halten, weil ich mit der Behandlung bereits begonnen habe.«
Obwohl Herr Nauen offenbar über den Grund ihres Anrufes informiert zu sein schien, schilderte Zoe ihr Anliegen, um ihre Mutter zu beruhigen. Diese schnaubte gerade missmutig und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.
»Aber nicht doch, Kindchen!«, erwiderte Herr Nauen. »Selbstverständlich wünschen wir, dass unser Sohn bei euch bleibt. Schließlich haben sich deine Großeltern seinerzeit auch um meine verstorbenen Eltern gekümmert. Dein Ruf eilt dir inzwischen voraus – deine Arbeit wird in gewissen Kreisen hochgelobt, selbst bei komplizierten Fällen. Ich finde es beruhigend, meinen Sohn in deiner Obhut zu wissen, und ich sehe keinen Grund, warum du den Auftrag nicht ausführen solltest.«
Demnach hatte er den Leichnam seines Sohnes identifiziert. Besonders bei übel zugerichteten Unfallopfern stellte das den mit Abstand schwersten Moment im Trauerprozess dar. Eine Welle von Mitgefühl erfasste Zoe bei der Vorstellung, dass auch Frau Nauen bei dem Termin in der Gerichtsmedizin anwesend gewesen sein könnte. Es musste ein schrecklicher Anblick für sie gewesen sein. Verständlich, wenn sie dadurch die Nerven verlor.
Der geschäftsmäßige Tonfall des Vaters hingegen passte nicht wirklich zu jemandem, der um sein Kind trauerte. Natürlich hatte Zoe in den vergangenen Jahren die unterschiedlichsten Reaktionen bei Hinterbliebenen erlebt. Ein Todesfall wirkte sich immer traumatisierend aus, auf die eine oder andere Weise. Die Menschen reagierten von extrem emotional bis distanziert. Je nach Charakter verhielten sie sich bei der Bewältigung des seelischen Schmerzes unterschiedlich, doch niemals vorhersehbar. Man musste im Umgang mit Trauernden auf alles gefasst sein. Obwohl die Kälte in Herrn Nauens Stimme Zoe eigentlich nicht hätte überraschen dürfen, war sie in Anbetracht der Umstände doch etwas erstaunt. So, wie er klang, hätte er ebenso gut seinen Chauffeur anweisen können, die Zündkerzen im Rolls-Royce zu kontrollieren.
»Ich wollte mich nur rückversichern«, brachte Zoe hervor.
»Meine Gattin hat einen kleinen Nervenzusammenbruch erlitten und nicht ernst gemeint, was sie sagte. Bis zur Abschiedsfeier wird sie sich wieder erholt haben.«
Wohl kaum, dachte Zoe und nahm sich vor, am Tag der Beerdigung ein besonderes Augenmerk auf Boris’ Mutter zu legen.
»Natürlich. Ich werde mich dann weiter um die Formalitäten kümmern. Auf Wiederhören, Herr Nauen.«
Um ihrer Mutter zu verkünden, dass die Angelegenheit somit erledigt war, nickte Zoe und nahm den Hörer vom Ohr, um ihn auf die Gabel zurückzulegen. Gerade noch rechtzeitig hörte sie Herrn Nauen weiterreden.
»Da wäre noch etwas, worüber ich mit dir reden wollte.«
Die Erleichterung darüber, dass das Gespräch beendet war, löste sich in Luft auf. Sofort sträubte sich alles in Zoe.
»Ja?«, fragte sie zaghaft.
»Du fertigst doch diese Andenkenmasken an. Besteht die Möglichkeit, solch ein Exemplar vom Gesicht meines Sohnes zu bekommen?«
Täuschte sie sich, oder klang Herr Nauen etwas sentimental? Einerseits erstaunt über die Anfrage, war die Aussicht auf einen bezahlten Auftrag für die Herstellung einer Totenmaske durchaus verlockend. Schließlich kam das selten genug vor. Die wenigsten Leute leisteten sich den Luxus, das Antlitz ihrer Verstorbenen in einer Maske verewigen zu lassen.
»Ich werde das
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