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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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Gesicht ihres Sohnes wieder so herstellen, wie sie ihn in Erinnerung haben«, versicherte Zoe.
    »Ausgezeichnet! Dann schick mir doch bitte ein paar Angebote. Welches Material ist das hochwertigste für eine Totenmaske?«
    Sie hatte sich getäuscht. Da waren keine Gefühle im Spiel, sondern Prestigedenken.
    »Ich kann jedes Material mit Blattgold überziehen.« Zoe blickte zu ihrer Mutter hinüber.
    Wie erwartet richtete diese ihren Blick theatralisch gen Himmel, nachdem sie bemerkt hatte, dass sich das Gespräch nun um das leidige Hobby ihrer Tochter drehte. Zoe ließ sich davon nicht beirren. Ein Auftrag bedeutete, eine angemessene Bezahlung für das zu bekommen, womit sie sich am liebsten beschäftigte.
    »Geht auch pures Gold?«, wollte Herr Nauen wissen.
    Zoe stutzte. Gold wurde äußerst selten verlangt. Genau genommen hatte sie es selbst noch nie erlebt. Gleichzeitig spürte sie den Reiz, mit diesem edlen Material arbeiten zu dürfen, in sich aufsteigen.
    »Ja«, antwortete Zoe schnell.
    Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, versicherte sie ihrer Mutter, dass sie wie geplant die Trauerfeierlichkeiten ausrichten würden. Über ihren Auftrag verlor sie kein weiteres Wort. Ihre Mutter konnte dem nichts entgegensetzen, weil Zoe dafür bezahlt werden würde. Auf Verständnis zu hoffen, wäre dennoch zu viel verlangt.
    »Gott wendet sich von manchen Menschen ab, und dieser Mann ist einer davon«, kommentierte Isobel und warf mit einer resignierenden Bewegung die Hände in die Luft, bevor sie sich wieder ihrer Küchenarbeit zuwandte. Zoe erwiderte nichts darauf, sondern machte sich auf den Weg nach oben, um ihre Arbeitskleidung anzuziehen.
    Den Rest des Tages verbrachte sie im Behandlungsraum mit den Vorbereitungen am Gesicht des toten Boris für die Erstellung eines Negativabdrucks. Da sie gestern im Beisein von Strater die entsprechende Vorarbeit geleistet hatte, kam sie zügig voran. Trotzdem war die Arbeit am toten Modell wie üblich schwierig, weil der Körper kalt war und die Totenmaske nur sehr langsam trocknete. Dafür konnte Zoe sich Zeit zum Modellieren nehmen. Immer wieder fiel ihr Blick zur anderen Seite der Bahre, an der einen Tag zuvor Kommissar Strater gestanden hatte. Die Erinnerung an seinen interessierten Blick erzeugte sogar jetzt noch ein leises Kribbeln in ihrem Bauch. Der Gedanke an ihn beschwingte sie auf angenehme Weise, und sie ließ ihre Finger über die weiche Silikonmasse gleiten wie ein Geigenvirtuose über seine Violine. Erst als irgendwann die Müdigkeit ihren Blick verschleierte, legte Zoe den Negativabdruck zum Trocknen beiseite. Die Turmuhr von Birkheim schlug Mitternacht, als sie müde die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufstieg.

    Der dichtbewachsene Wald lichtete sich abrupt und gab den Blick auf eine karge Einöde frei. Die bizarre Steinlandschaft breitete sich großflächig aus, bot ein Wechselspiel aus unberührten Felsformationen und tief aufgerissenen Abgründen aus Gestein. Kein Grün wagte sich bis hierher vor. Windböen brausten pfeifend über das unwirtliche Gelände, steckten Grenzen aus aufgewirbeltem Staub. Loretta stand mit ausgebreiteten Armen nahe dem Steilhang. Der Schein der untergehenden Sonne umfloss sie wie eine Aura aus blutrotem Licht. Der Wind spielte mit ihrem Haar, das sich grellbunt von der nächtlichen Kulisse abhob wie eine exotische Blüte im Moor. Zwischen ihr und dem alles verschlingenden Abgrund steuerte das gelbe Cabriolet auf den Rand des Steilhangs zu und kam kurz davor zum Stehen. Die Körper der drei Insassen zuckten unter den erfolglosen Versuchen, die Autotüren aufzureißen. Ihre Unterkörper gelähmt, zum Ausharren verdammt.
    Ein entrückter Ausdruck lag auf Lorettas Gesicht. Auf ihr Handzeichen hin bewegte sich der Wagen weiter auf den Abhang zu. Schotter knirschte bedrohlich unter den Reifen. Mit einem Ruck rutschten die Vorderräder über die Kante. Stille verschluckte jedes Geräusch. Für den Bruchteil einer Sekunde schien die Zeit stillzustehen. Dann rissen die drei Gestalten im Wagen die Arme hoch und kreischten wie Fahrgäste in der Achterbahn vor der ersten Steilfahrt. Boris und seine Freunde warfen ihre Oberkörper nach hinten, um das Gewicht zu verlagern, damit der Wagen nicht abstürzte. Todesangst hatte ihre Gesichter zu Fratzen verzerrt.
    Lorettas Augen flammten auf. »Seid – endlich – still! Ihr habt genug getan und genug geredet.« Ihre Stimme schnitt wie Glas durch das Getöse. Einer Tänzerin gleich, bog sie ihren

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