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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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den darauffolgenden Monaten regelmäßig nach Zoes Befinden, wenn sie morgens zum Frühstück herunterkam.

    Ein lautes Scheppern drang aus der Küche herauf, gefolgt von einem Aufschrei ihrer Mutter und weiterem Geklapper von Geschirr. Zoe stöhnte. Wenn ihre Mutter sich lautstark in der Küche betätigte, war sie in der Regel aufgebracht. Lustlos erhob Zoe sich und schlüpfte in einen Jogginganzug. Auf der Treppe gähnte sie herzhaft. Kurz darauf betrat sie die Küche. Wie erwartet wirbelte ihre Mutter zwischen zahlreichen Küchenutensilien umher, wischte über ein Regal, um lautstark die Töpfe an ihren Platz zurückzustellen.
    »Guten Morgen«, sagte Zoe und goss sich eine Tasse Kaffee ein.
    Isobel nickte ihr zu und kam sofort zur Sache. »Diese alte Nauen hat vorhin angerufen. Sie besteht doch tatsächlich darauf, die Leiche ihres Sohnes zu einem anderen Bestatter bringen zu lassen!« Isobel imitierte den näselnden arroganten Tonfall von Frau Nauen.
    Zoe fand es jedes Mal befremdlich, wenn gleichaltrige Frauen ihre Missachtung der anderen gegenüber zum Ausdruck brachten, indem sie sich als alt bezeichneten. Vielleicht fühlten sie sich überlegen, wenn sie sich selbst jünger darstellten. Eindeutig ein weiterer Punkt auf ihrer Not-to-do-Liste. Nachdem Zoe vor einiger Zeit einen Artikel darüber gelesen hatte, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass Töchter irgendwann wie ihre Mütter wurden, versuchte sie insgeheim, sich Eigenarten oder Verhaltensweisen ihrer Mutter zu merken, mit dem Ziel, diese niemals nachzuahmen. Während Zoe trank, musterte sie ihre Mutter über den Rand der Kaffeetasse. Sie war mehr als aufgebracht.
    »Das können sie nicht machen! Die Leichen wurden uns vom Gericht überstellt. Außerdem habe ich bereits mit der Arbeit angefangen.« Ganz zu schweigen von den Umständen, wenn sie die Körper kurzfristig umlagern müssten. Leichen nahmen keine Rücksicht auf die Streitigkeiten ihrer Zurückgebliebenen. Sie verwesten. Irgendwann half da auch keine Kühlung mehr.
    Isobel schlug mit dem nassen Lappen auf die Ablage. »Sie sagte, sie wolle mir die Genugtuung nicht gönnen, dass es ihr Kind sei, welches umgekommen ist. Das muss man sich mal vorstellen! Diese Frau ist doch völlig übergeschnappt!«
    Das war in der Tat ziemlich schräg. Zoe wunderte sich, dass die sonst so zurückhaltende Dame sich überhaupt dazu verleiten ließ, derart zickig zu reagieren. Natürlich ärgerte auch Zoe sich über diese Bemerkung, weil sie schlicht ungerecht war.
    »Du weißt doch, der Schmerz lässt Trauernde Dinge sagen, die ihnen später leidtun«, versuchte Zoe, ihre Mutter zu beruhigen.
    »Meine Güte, du verteidigst auch jeden!«, erboste Isobel sich. »Könntest du vielleicht ausnahmsweise auch mal ein bisschen Verständnis für mich aufbringen? Die Frau hat mir ins Gesicht gesagt, dass sie sich wünschte, du lägst da unten auf dem Tisch!«
    Zoe öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, entschied sich aber dagegen. Ein Anflug von Bedauern verdichtete sich zu Mitgefühl. Sie konnte verstehen, dass ihre Mutter verletzt war. Natürlich war Frau Nauens Bemerkung inakzeptabel. Doch sie wollte ihre Mutter nicht mit Zustimmung darin bestärken, sich noch mehr in die Angelegenheit hineinzusteigern. Im Grunde hatte sie recht. Zoe stellte ihre Tasse ab.
    »Was soll ich deiner Meinung nach dagegen unternehmen?«
    Isobel legte den Lappen ab und wandte sich ihr zu. »Als Geschäftsführerin solltest du dort anrufen und die Sache klären. Nicht dass uns während der Trauerfeier eine hysterische Frau den Ruf verdirbt!«
    Das hatte Zoe geahnt. Ein flaues Gefühl legte sich um ihren Magen. Der Ruf ihrer Firma war es nicht, was sie beschäftigte. Obwohl ein durchgeknallter Trauergast während der Abschiedsmesse den Alptraum eines jeden Bestatters verkörperte. Nicht umsonst war jeder Abschied von einem gewissen Druck überlagert, von dem zum einen die Angehörigen nichts mitbekommen sollten und durch den zum anderen eine anstrengende Stresssituation für Zoe entstand. Es lag bei dem Bestatter, dafür zu sorgen, dass alles reibungslos in stiller Gediegenheit ablaufen konnte. Zwischenfälle jedweder Art waren unter allen Umständen zu vermeiden. Zoe und ihre Mutter hatten ein geschultes Auge für Trauernde, die dazu neigten, jeden Moment in den Sarg zu springen oder sich kreischend auf dem Boden zu winden. Für gewöhnlich positionierten Zoe und ihre Mutter sich am Eingang der Halle und direkt neben dem Sarg. Dabei

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