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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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Oberkörper mit erhobenen Händen zu einer schwungvoll ausladenden Bewegung. Ihr Arm ruckte nach vorn, als würde sie eine unsichtbare Peitsche schwingen.
    Die Münder von Boris und seinen beiden Freunden klappten hörbar zu. Der Lärm klang gedämpft wie unter einem herabsinkenden Tuch. Mit verzweifelten Lauten versuchten sie, zu schreien, doch ihre Lippen waren plötzlich versiegelt wie die zugenähten Münder von Leichen. In wilder Panik zappelten die Jungen, richteten ihre weit aufgerissenen Augen flehend auf Loretta.
    Deren Lächeln gefror. Sie zog die Ellbogen an ihre Seite, die offenen Handflächen in Richtung des Wagens und vollzog eine schiebende Bewegung. Die Motorhaube des gelben Cabriolets schaukelte über dem Abgrund. Der metallene Unterboden schob sich quietschend über das Gestein. Im Angesicht des Todes erstarrten die drei Insassen. Endlos zog sich die Zeit dahin. Ein letztes aufbäumendes Ächzen, dann schoss das Cabrio den Steilhang hinunter.

Kapitel 8
    D ie fremden Stimmen in ihrem Ohr lösten sich im Brausen des Windes auf und verstummten im selben Moment, als Zoe mit rasendem Herzen die Augen aufschlug. Der Traumfänger über ihrem Bett schaukelte sachte im Luftzug.
    »Na toll, jetzt brauchst du dich auch nicht mehr zu bemühen!«, murrte sie und befeuchtete ihre trockenen Lippen. Der Alptraum saß ihr in jedem einzelnen Knochen und würde ihr wahrscheinlich noch den ganzen Tag nachhängen. Wenn nicht noch länger. Noch nie hatte sie von Loretta geträumt, schon gar nicht als eigenständige Persönlichkeit. Für gewöhnlich schenkte sie ihren Träumen keine besondere Beachtung. Ebenso wenig interpretierte sie irgendwelche prophetischen Bedeutungen hinein. Dazu waren ihre Nachtmahre an sich schon verstörend genug. Im realen Leben konnte sie so etwas nicht gebrauchen.
    Zoe griff nach der Flasche Mineralwasser, die neben ihrem Bett stand. Mit kräftigen Zügen vertrieb sie den schalen Geschmack in ihrem Mund. Sie schleppte sich mit steifen Gliedern zur Dusche und fühlte sich dabei, als hätte sie am Tag zuvor eine Baugrube ausgehoben. Das warme Wasser löste die Verspannungen in ihren Muskeln. Ihre Gedanken hingegen ließen sich nicht so einfach vertreiben. Immer wieder tauchte das Bild von Loretta als Racheengel vor ihrem inneren Auge auf. Herrje! Anscheinend wollte ihr Unterbewusstsein mit aller Macht eine Botschaft übermitteln. Nur welche? Zoe schüttelte verständnislos den Kopf, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Kehle sich zuschnürte. Schuldgefühle plagten sie durchaus. Es gehörte sich einfach nicht, über den Tod eines Menschen erleichtert zu sein. Auch wenn sie es nicht laut aussprach, nicht einmal wirklich dachte, sondern einfach nicht entsetzt oder traurig war.
    Sie stellte das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Mit dem Handtuch wischte sie den beschlagenen Spiegel ab, bevor sie sich abtrocknete. Der mürrische Gesichtsausdruck ihres Spiegelbildes war sicher nicht nur der frühen Morgenstunde zuzuschreiben. Ohnehin mochte Zoe sich nicht gern ansehen, wogegen sie nicht genug von ihrem Antlitz bekommen konnte, sobald sie sich in Loretta verwandelt hatte. Ein Hauch von einem Lächeln zog über ihre Lippen, hellte für den Bruchteil einer Sekunde ihre Miene auf. Es stand ihr gut, war aber trotzdem nicht typisch für sie. Sie rümpfte die Nase.
    Manchmal hatte Zoe das Gefühl, vollends in ihrer Phantasiegestalt aufzugehen. Als Loretta war sie in der Lage, vollkommen anders zu reagieren, und genoss sie dieses ungewohnte Selbstbewusstsein. Ihr Alter Ego war emotional flexibel und schreckte nicht vor der einen oder anderen Eskapade zurück. Zoe zog es vor, mit der Maske auch die Verantwortung für Knutschereien in den Hinterhöfen von Diskotheken abzulegen. Umso nerviger fand sie, dass Loretta sich nicht nur in ihre Träume schlich, sondern nach dem Aufwachen weiterhin fest in ihren Gedanken verweilte wie zäher Brei.
    Immer noch verschlafen, tapste sie die Flurtreppe hinunter und war erleichtert, dass die weichen Stufenmatten ihren unsicheren Gang unter Kontrolle hielten. Die Zeiten, in denen sie auf dem Po die damals noch blanken Holztreppen hinuntergerutscht war, lagen ohnehin längst hinter ihr. Jetzt sehnte sie sich nach einer Tasse Kaffee, um ihren Verstand auf Vordermann zu bringen. An dem Bullaugenfenster auf halber Treppenhöhe hielt sie inne.
    Draußen erklang helles Gebimmel aus der kleinen Kapelle hinter dem Haus und rief die Apostelanhänger zum Gebet. Gleichzeitig dezent

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