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Die Totensammler

Die Totensammler

Titel: Die Totensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PAUL CLEAVE
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zurückgehalten.
    »Was guckst du so blöd, Arschloch?«, fragt einer der Typen und geht langsamer.
    Ich drehe mich wieder zur Tür, in der Hoffnung, dass ihnen das reicht, doch das tut es nicht. Der Hund knurrt, nur ein paar Meter hinter mir. Sie sind an den Zaun getreten. Ich werfe einen kurzen Blick in ihre Richtung. Jeder der beiden Männer wiegt bestimmt mindestens hundert Kilo, unter ihrer mit Tattoos übersäten Haut drängen sich Fett und Muskeln. Ich schätze, sie sind ebenfalls richtige Frauentypen – allerdings haben die Frauen bei dieser Frage nichts zu melden.
    »Hey, Arschgesicht«, brüllt einer von ihnen.
    Es ist eine jener typischen Situationen, die dazu führen, dass aus einem Bewohner dieser Stadt eine Statistik wird. Ein zufälliges Aufeinandertreffen. Es kotzt mich an, und am liebsten würde ich die Pistole aus meiner Tasche ziehen und in Christchurch mal gründlich aufräumen.
    »Hey, Arschloch, gibt’s ’n Problem?«, fragt der andere.
    »Scheiß, Mann, bist du taub?«, sagt der Erste.
    Ich versuche, die Tür zu öffnen. Sie ist offen, also trete ich ein und schließe sie hinter mir. Eine Glasflasche kracht gegen die Veranda, und die beiden Männer brüllen noch ein paar Sätze. Doch nach ein paar Sekunden fangen sie an zu lachen, und dann wird ihr Gelächter langsam leiser, während sie ihren Weg fortsetzen.
    Im Flur stinkt es nach Körperausdünstungen und Zigarettenqualm – das ganze Haus könnte eine Dusche vertragen. Zu beiden Seiten gehen mehrere Schlafzimmer ab, und sämtliche Türen sind verschlossen, sodass kaum Licht in den Flur fällt. Zur Rechten führt eine Treppe nach oben, und den Flur hi nunter befindet sich eine große Wohnküche. An den Wänden hängt kein einziges Gemälde, nirgends sind Pflanzen zu sehen. Der Typ mit den Brandwunden auf den Armen spricht mit einem anderen Mann, er trägt eine Schlaghose mit Löchern an den Knien und ein schwarzes Hemd mit ausladendem, spitzem Kragen. Heute ist im Haus wohl Hemdentag. Anscheinend hat er aus jedem Jahrzehnt ein Lieblingskleidungsstück ausgewählt und angezogen. Beide schauen jetzt zu mir herüber.
    »Sind Sie der Priester?«, frage ich.
    »Sind Sie der Cop?«, fragt er zurück.
    »Detective Inspector«, sage ich.
    »Haben Sie einen Ausweis?«
    »Ist im Wagen.«
    »Darum haben Sie ihn also den Jungs mit dem Hund nicht gezeigt?«
    »Ich hätte auch ein Schwert zücken können, es wäre ihnen egal gewesen. Ich bin hier, weil ich ein paar Fragen zu einem der Männer habe, die hier leben.«
    Der Priester ist in den Fünfzigern und geht auf die sechzig zu. Er hat eine Boxernase und Blumenkohlohren, und er blinzelt nur ein Drittel so häufig wie andere Menschen, was ein wenig nervig ist – fast so, als würde man mit jemandem reden, der versucht, einen zu hypnotisieren. Er hat dichtes dunkles Haar, und zwar nicht nur auf dem Kopf. Auf den Armen wuchert ein dichter, gekräuselter Pelz, und aus den Löchern zwischen den Knöpfen seines Hemds ragen kleine Büschel hervor. Er nickt dem Typen mit den Brandwunden zu, worauf dieser verschwindet und uns in der Küche alleine lässt. All die Geräte hier passen nicht zusammen, wahrscheinlich wurden sie im Laufe der Jahre von der Stadtmission gespendet. Das Einzige, was in diesem Zimmer zusammenpasst, sind zwei Löcher in der Wand, vielleicht von einem Kopf hineingeschlagen. Sonst gibt es hier zu keinem der Gegenstände ein Gegenstück – Becher, Stühle, Lampen, Schubladengriffe, alles kunterbunt durcheinander.
    »Wir sind zufrieden mit dem, was wir haben«, sagt er, als er sieht, wie ich mich umschaue, und blinzelt langsam. »Wir bekommen kaum staatliche Unterstützung und sind auf die Hilfsbereitschaft anderer angewiesen, aber Sie wissen ja selbst, dass es dergleichen heutzutage kaum noch gibt. Ich bin der Priester«, sagt er und streckt seine Hand aus.
    Ich greife danach, wie zu erwarten, hat er einen kräftigen Händedruck. Ich behalte das Haar auf seinem Handgelenk im Auge, nur für den Fall, dass es auf der Suche nach einer neuen Besiedlungsfläche ist.
    »Kaffee?«
    »Nein, danke.«
    »Ist auch besser so«, sagt er. »Kaffee ist nicht gut, ich bin richtig süchtig danach, aber vieles, wonach man süchtig ist, ist nicht gut, nicht wahr?«
    »Ich suche jemanden.«
    »Das tun wir alle, aber ich kann Ihnen sagen, wo Sie ihn finden.«
    »Wo?«
    »Hier drin«, sagt er und klopft sich auf die Brust, »und in der Bibel.«
    »Ich …«
    »War nur ein Scherz«, sagt er und lacht leise.

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