Die Totentänzerin: Ein Fall für Nils Trojan 3 - Psychothriller (German Edition)
ja noch immer. Wieder einmal war ihr, als spräche diese Stimme direkt aus ihrem Kopf. Sie fürchtete, allmählich verrückt zu werden.
»Möglicherweise gibt es ja einen Ausweg«, hörte sie den anderen flüstern.
Sie atmete schwer.
»Wissen Sie, mir liegt viel daran, Ihnen zu helfen. Also freuen Sie sich auf meinen nächsten Anruf.«
Und dann klickte es.
In dem schmalen Badezimmer spritzte sie sich kaltes Wasser ins Gesicht. Sie trocknete sich ab und starrte ihr Spiegelbild an.
Was sollte sie jetzt nur tun ? Dieser Anrufer hatte sie in der Hand. Er schien alles über sie zu wissen, alles.
Die Angst nahm ihr den Atem.
Einundzwanzig
Danielas Herz schlug höher, als sie auf die grüne Taste drückte. Wieder nichts, kein Freizeichen, bloß die Ansage. Die stets gleichen Worte, Siris fröhliche Stimme, die ihr, je öfter sie anrief, immer ferner und unheimlicher erschien.
Längst hatten sich all ihre Warninstinkte gemeldet, denn Siri war ein wahrer Telefonfreak, nicht einmal nachts schaltete sie ihr Handy aus. Und mindestens dreimal am Tag tauschten sie sich über Neuigkeiten, Tratsch und Belangloses aus, doch seit diesem merkwürdigen Anruf vom Samstagabend hatte sie nichts mehr von ihr gehört, und die unzähligen Nachrichten, die sie auf ihrer Mailbox hinterlassen hatte, blieben unbeantwortet.
Zum x-ten Mal versuchte Daniela, sich den Wortlaut ihres letzten Telefongesprächs ins Gedächtnis zu rufen. Es ging um diese Frau, um Siris Stiefvater und den Mord in der Lausitzer Straße, sie hatte selbst im Internet nachgeschaut und alles darüber gelesen. Sollte ihre Freundin etwa in Schwierigkeiten stecken ?
Heute war Montag, und Siri war nicht einmal in der Schule aufgetaucht. War sie denn überhaupt zu Hause ?
Daniela schaute zu den Fenstern der Wohnung hoch, in der Siri mit ihren Eltern lebte. Auf ihr Läuten hin hatte niemand geöffnet. Etwas stimmte da nicht.
Schließlich klingelte sie bei den Nachbarn, und ihr wurde ungefragt geöffnet. Beklommen stieg sie die Treppe hinauf. Vor der Eingangstür hielt sie inne. Dann drückte sie auch hier den Klingelknopf. Nichts rührte sich. Sie presste das Ohr gegen das Türblatt und lauschte.
Mit einem Mal brach ihr der Schweiß aus.
Sie musste eine Entscheidung treffen, und zwar schnell. Siri war doch sonst immer so zuverlässig, sie hätte sich zumindest in der Schule abgemeldet, doch auch im Sekretariat wusste man von nichts.
Ihrer Freundin ging es nicht gut, das konnte sie spüren, möglicherweise war ihr etwas zugestoßen.
Daniela ballte die Hand zur Faust und schlug gegen die Tür.
»Siri«, rief sie, »bist du da ? Mach doch auf !«
Völlig regungslos war sie.
Wie schön das aussah. Ihre Züge entspannt und viel weicher als zuvor. Nur ihre Frisur gefiel ihm nicht, was hatte sie bloß damit angestellt. Er schloss kurz die Augen und versuchte, sie sich mit einer anderen Haarfarbe vorzustellen, dann streckte er die Hand nach ihr aus, um sie zu berühren, doch schon zuckte er zurück. Er durfte das nicht.
Verboten, durchfuhr es ihn.
Lange Zeit betrachtete er ihre Lippen. Eigentlich waren sie wohlgeformt, sinnlich und rund, jung und rot, nur leider verunstaltet durch dieses Piercing. Er überlegte, ob er es entfernen sollte, allerdings könnte sie davon erwachen, also ließ er es bleiben.
Nun gehörte sie also ganz ihm.
Ihre Wehrlosigkeit überwältigte ihn.
Und plötzlich schluchzte er auf und vergrub das Gesicht in den Händen. Er musste daran denken, wie viel Krankheit und Hässlichkeit es auf dieser Welt gab, und mit einem Mal sah er sich auf der Krebsstation wieder, hilflos und besorgt, da waren die Patienten, die mit ihren Atemgeräten über die Gänge schlurften, da waren die Apparaturen und Schläuche. Und über allem schwebte der Geruch der Hoffnungslosigkeit, beißend und steril. Er sah seine Frau vor sich, sie war abgemagert, unter ihren eingefallen Wangen trat das Gebiss hervor. Sie hatte ihr Haar verloren, ihn erschütterte der Anblick ihres nackten Schädels und das violette Geflecht ihrer Adern unter der papiernen Haut.
Wenn sie den Mund öffnete, konnte er den Tod riechen und ihre Angst davor. Er sah ihre magere Hand, wie sie in Zeitlupe über die Bettdecke wanderte, hin zu ihm. Und er drückte sie, während er nach tröstenden Worten suchte. Er benötigte Distanz, schließlich war er doch Arzt. Ein Mediziner ließ sich nicht von Sentimentalitäten hinreißen, im Gegenteil. Er musste in aller Ruhe die Sachlage einschätzen und
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