Die Totgesagten
speicherte die Tabelle auf einer Diskette und zog sie aus dem Computer. Die kleinen Engel flatterten um sie herum und fragten, wie sie hießen, was sie zusammen spielen sollten und was sie mal werden würden, wenn sie groß wären. Erneut stiegen Annika die Tränen in die Augen. Sie sah auf die Uhr. Halb zwölf. Sie könnte nach Hause gehen und etwas essen. Sie spürte, dass sie ein bisschen Ruhe brauchte. Allein, zu Hause. Aber zuerst würde sie Patrik die Diskette bringen. Er wollte alle Informationen so schnell wie möglich haben.
Auf dem Flur traf sie Hanna. Annika sah eine günstige Gelegenheit, Patriks prüfendem Blick aus dem Weg zu gehen. »Hallo, Hanna«, sagte sie. »Könntest du Patrik diese Diskette vorbeibringen? Es ist die Liste mit den Adressen der Hundebesitzer. Ich gehe zum Mittagessen nach Hause.«
»Geht’s dir nicht gut?« Mit besorgtem Gesichtsausdruck nahm Hanna die Diskette entgegen. Annika zwang sich zu einem Lächeln. »Doch, doch. Ich habe einfach Lust auf was Selbstgekochtes.« »Okay.« Hanna wirkte nachdenklich. »Ich gebe Patrik die Diskette. Bis später.« »Bis dann.« Annika eilte zur Tür. Die Engel begleiteten sie bis nach Hause.
Patrik blickte auf, als Hanna hereinkam. »Hier, eine Diskette von Annika. Die Hundebesitzer.« Patrik legte die Diskette auf seinen Schreibtisch.
»Setz dich mal kurz.« Er zeigte auf einen Stuhl und sah sie prüfend an. »Wie war dein erster Monat hier für dich? Fühlst du dich wohl? War vielleicht ein bisschen turbulent für den Anfang, oder?«
Er lächelte, und sie lächelte zurück, aber im Grunde machte er sich wirklich Sorgen um seine neue Kollegin. Sie sah so müde und kaputt aus. Das war zwar kein Wun dernach den letzten Wochen, aber bei ihr steckte noch etwas anderes dahinter. Ihr Gesicht wirkte richtig durchscheinend, sie war mehr als erschöpft. Ihr blonder Pferdeschwanz hatte keinen Glanz, und unter ihren Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab.
»Es war eine tolle Zeit«, behauptete sie fröhlich und ignorierte seinen prüfenden Blick. »Ich fühle mich wahnsinnig wohl hier. Außerdem gefällt es mir, wenn viel los ist.« Sie sah sich um und betrachtete die vielen Zettel und Fotos an den Wänden. »Das war jetzt blöd ausgedrückt. Aber du weißt schon, was ich meine.«
»Ja.« Patrik lächelte. »Hat Mellberg sich denn …« Er suchte nach den passenden Worten. »… einigermaßen benommen?«
Hanna lachte. Für einen Moment wurden ihre Züge ganz weich, und er erkannte die Frau wieder, die vor fünf Wochen bei ihnen angefangen hatte. »Den habe ich kaum zu Gesicht bekommen. Insofern hat er sich gut benommen. In Wirklichkeit betrachten sowieso alle dich als Chef, zumindest in der Praxis. Und ich finde, du machst deine Sache gut.«
Patrik wurde rot. Er bekam selten Lob und konnte nicht gut damit umgehen.
»Danke«, murmelte er. Dann wechselte er schnell das Thema. »In einer Stunde halten wir ein Meeting in der Küche ab, bei mir ist es zu eng.«
»Gibt’s was Neues?«
»Ja … Das kann man wohl sagen.« Patrik konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Möglicherweise haben wir des Rätsels Lösung gefunden.« Sein Grinsen wurde noch breiter.
Hanna richtete sich gespannt auf ihrem Stuhl auf. »Hast du etwa den Zusammenhang zwischen den Fällen gefunden?«
»Nicht ganz. Man müsste wohl eher sagen, er ist zu mir gekommen. Aber ich habe noch zwei Telefonate zu erledi gen.Alles Weitere berichte ich dann im Meeting. Bis jetzt weiß nur Mellberg Bescheid.«
»Okay, dann sehen wir uns in einer Stunde.« Hanna warf ihm einen merkwürdigen Blick zu, bevor sie ging. Patrik wurde das Gefühl nicht los, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Aber wenn die Zeit reif war, würde sie schon zu ihm kommen und ihm alles erzählen.
Er nahm den Hörer in die Hand und wählte die erste Nummer.
»Wir haben den Zusammenhang gefunden, nach dem wir gesucht haben.« Patrik blickte in die Runde und genoss die Wirkung seiner Mitteilung. Dabei blieb sein Blick kurz an Annikas verweintem Gesicht hängen. Ein äußerst ungewohnter Anblick, denn Annika war eigentlich immer gut gelaunt. Nach ihrer Besprechung musste er sie unbedingt fragen, wie es ihr ging.
»Sofie Kaspersen hat heute das entscheidende Puzzleteil geliefert. Einen alten Zeitungsartikel, den sie bei den Erinnerungsstücken ihrer Mutter gefunden hat. Gösta und Hanna haben offensichtlich einen guten Kontakt zu ihr aufgebaut. Gute Arbeit!« Er nickte ihnen anerkennend zu.
»In dem Artikel …«
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