Die Totgesagten
Gesten verstehen und schätzen gelernt, die Zurückhaltung und die bescheidene Freundlichkeit der blonden Skandinavier. Obwohl zu seinem großen Erstaunen längst nicht alle Schweden blonde Haare und blaue Augen hatten.
Er war geblieben. Nach zehn Jahren in der Gemeinde in Stockholm bot man ihm eine eigene Gemeinde in Nyköping an. Mit den Jahren hatte sich sogar ein leichter sörmländischer Dialekt in sein italienisches Schwedisch eingeschlichen. Dass diese merkwürdige Mischung manchmal für Heiterkeit sorgte, machte ihm nichts aus. Die Schweden lachten sowieso viel zu selten. Im Allgemeinen verbanden die Leute den Katholizismus zwar nicht mit Freude und Gelächter, aber für ihn bedeutete Religion genau das. Wenn nicht die Liebe zu Gott etwas Heiteres und Lustvolles war, was sonst?
Elsa hatte diese Einstellung am Anfang überrascht. Sie war zu ihm gekommen, weil sie auf eine Geißel und ein Büßerhemd hoffte. Stattdessen empfing er sie mit offenen Armen und freundlichem Blick. Sie hatten so viel über ihre Schuld und ihr Bedürfnis nach Strafe geredet. Über die Jahre hatte er sie behutsam durch alle Ebenen von Schuld und Vergebung gelotst. Das Wichtigste war Reue, wirkliche Reue. Ohne sie gab es keine Vergebung. Reue hatte Elsa mehr als genug empfunden, über dreiundfünfzig Jahre, jeden Tag und jede Stunde. Das war eine lange Zeit für eine so schwere Bürde. Silvio war froh, dass er ihr die Last ein wenig erleichtert hatte, so dass sie wieder frei durchatmen konnte, zumindest einige Jahre. Bis zu ihrem Tod.
Er runzelte die Stirn. Er hatte viel über Elsas Leben – und ihren Tod – nachgedacht. Die Fragen der Polizei hatten die Gefühle und Erinnerungen wieder aufgewühlt. Doch die Beichte war heilig, und das Beichtgeheimnis durfte nicht gebrochen werden. Trotzdem fand er keine Ruhe.Er wünschte, er hätte das Gelübde brechen können, an das Gott ihn gebunden hatte. Aber das war unmöglich.
Als das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte, spürte er instinktiv, worum es ging. Er meldete sich halb erwartungsvoll, halb schaudernd: »Silvio Mancini.«
Als sich die Polizei aus Tanum meldete, musste er lächeln. Er hörte sich eine Weile an, was Patrik Hedström zu sagen hatte, dann schüttelte er den Kopf.
»Leider darf ich Ihnen nicht sagen, was Elsa mir anvertraut hat. – Nein, das unterliegt der Schweigepflicht.«
Das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Einen Augenblick lang sah er Elsa vor sich sitzen. Die magere Elsa mit ihrer aufrechten Haltung und den kurzen weißen Haaren. Er hatte öfter versucht, sie mit Nudeln und Keksen zu mästen, aber bei ihr schien nichts anzusetzen. Sie sah ihn sanft an.
»Es tut mir furchtbar leid, aber ich kann nicht. Sie müssen einen anderen Weg finden …«
Elsa nickte ihm aufmunternd zu. Er begriff nicht, was sie meinte. Wollte sie, dass er redete? Aber es half nichts, er durfte nicht. Nachdenklich betrachtete er sie. Plötzlich kam ihm eine Idee. »Was Elsa mir anvertraut hat, muss ich für mich behalten. Aber ich darf Ihnen erzählen, was allgemein bekannt ist. Elsa stammte aus Ihrer Gegend. Sie kam aus Uddevalla.«
Elsa lächelte. Dann war sie wieder weg. Er wusste, dass sie nicht wirklich da gewesen, sondern nur ein Produkt seiner Einbildungskraft war. Aber er hatte sich trotzdem gefreut, sie zu sehen.
Als er auflegte, spürte er einen inneren Frieden. Er hatte weder Gott verraten noch Elsa. Den Rest musste nun die Polizei erledigen.
Erica sah Patrik an, dass etwas passiert war. Sein Gang hatte eine gewisse Leichtigkeit, und seine Schultern wirkten entspannter.
»Istes gut gelaufen?« Mit Maja auf dem Arm, ging sie auf ihn zu. Die Kleine streckte freudestrahlend die Ärmchen nach ihrem Vater aus.
»Es ist super gelaufen.« Er tänzelte mit seiner Tochter durchs Zimmer, dass sie fast erstickte vor Lachen. Sie vergötterte ihren Papa.
»Erzähl!« Erica ging in die Küche, um das Abendessen fertigzumachen. Patrik und Maja folgten ihr. Anna, Emma und Adrian sahen gerade Bolibompa im Fernsehen und winkten nur zerstreut, als Patrik hereinkam. Der Bär Björne forderte ihre ganze Aufmerksamkeit.
»Wir haben den Zusammenhang zwischen den Mordfällen gefunden.« Er setzte Maja auf den Fußboden. Sie blieb eine Weile sitzen, hin- und hergerissen zwischen ihrem Papa und dem süßen Bär, entschied sich aber schließlich für den Behaarteren und krabbelte auf den Fernseher zu.
»Immer nur die Nummer zwei«, seufzte Patrik theatralisch und warf Maja einen
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