Die Totgesagten
Schnecke hinunter. »Ja, ich bin dran.«
»Du hast Besuch.« Ihrem Tonfall war zu entnehmen, dass die Angelegenheit wichtig war.
»Wer ist es?«
»Sofie Kaspersen.«
Seine Neugier war geweckt. Marits Tochter? Was mochte sie von ihm wollen?
»Schick sie rüber.« Dann ging er Sofie auf dem Flur entgegen.
Sie sah schmal und blass aus. Patrik erinnerte sich dunkel, dass Gösta erwähnt hatte, bei seinem letzten Besuch sei dem Mädchen schlecht geworden.
»Du warst krank, oder? Geht’s dir besser?«
Sie nickte. »Magen-Darm-Infekt. Aber es geht schon wieder. Ich habe nur ein wenig abgenommen.« Sie lächelte verkrampft.
»Ich wünschte, das könnte ich von mir auch behaupten«, lachte Patrik. Er wollte das Mädchen ein bisschen aufmuntern, denn es sah völlig verängstigt aus. Die beiden schwiegen eine Weile, und Patrik wartete geduldig.
»Wissen Sie schon mehr … über Mama?«
»Nein«, antwortete Patrik ehrlich. »Wir kommen überhaupt nicht weiter.«
»Sie wissen also nicht, wo der Zusammenhang zwischen ihr und den anderen liegt?«
»Nein.« Patrik fragte sich, worauf sie hinauswollte. Ganz vorsichtig sagte er: »Ich glaube, das Bindeglied zwischen deiner Mutter und den anderen hat mit irgendetwas zu tun, was wir noch nicht gefunden haben.«
»Hm.« Sofie wirkte immer noch unentschlossen.
»Wir müssen alles wissen. Damit wir herausfinden können, wer dir deine Mutter genommen hat.« Er merkte, dass seine Stimme einen flehentlichen Unterton hatte, aber ihm entgingauch nicht, dass Sofie ihm etwas sagen wollte. Etwas, was ihre Mutter betraf.
Nach einer weiteren langen Pause griff sie ganz langsam in die Jackentasche. Mit gesenktem Blick zog sie ein Blatt Papier heraus und reichte es Patrik. Als er konzentriert zu lesen begann, blickte sie wieder auf.
»Wo hast du das gefunden?«, fragte Patrik, als er fertig war. Er wurde ganz kribblig. »In einer Kiste. Zu Hause bei Papa. Aber es war bei Mamas Sachen von früher. Lauter Fotos und so Zeug.«
»Weiß dein Vater, dass du das gefunden hast?«
Sofie schüttelte heftig den Kopf. Die glatten dunklen Haare flogen ihr ums Gesicht. »Nein, und er wird auch nicht begeistert darüber sein. Aber die Polizisten, die letzte Woche da waren, haben gesagt, dass wir uns melden sollen, wenn uns etwas einfällt. Ich hatte das Gefühl, dass ich Ihnen das hier zeigen sollte. Mama zuliebe«, fügte sie hinzu. Verschämt betrachtete sie ihre Fingernägel.
»Das hast du richtig gemacht. Diese Information war auf jeden Fall wichtig für uns. Vielleicht ist sie sogar der Schlüssel.« Er konnte seine Aufregung nicht verbergen. So vieles passte zu dieser Information. Andere Puzzleteilchen schwirrten ihm durch den Kopf: Börjes Vorstrafenregister, Rasmus’ Verletzungen, Elsas Schuldgefühle – es passte alles zusammen.
»Darf ich das behalten?« »Könnten Sie sich stattdessen vielleicht eine Kopie machen?«
Patrik nickte. »Natürlich. Und falls es Ärger mit deinem Vater gibt, soll er sich an mich wenden. Du hast vollkommen richtig gehandelt.«
Er machte auf dem Flur eine Fotokopie, gab Sofie das Original zurück und begleitete sie nach draußen. Patrik blickte ihr lange hinterher. Sie ließ den Kopf hängen und steckte die Hände tief in die Taschen. Anscheinend war sie aufdem Weg zu Kerstin. Er hoffte es. Die beiden brauchten einander mehr, als sie ahnten.
Triumphierend ging er wieder an die Arbeit. Nun konnten sie loslegen. Endlich, endlich war der Durchbruch da!
Die vergangene Woche war die beste in Bertil Mellbergs ganzem Leben gewesen. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Rose-Marie hatte noch zweimal bei ihm übernachtet. Die nächtlichen Aktivitäten waren zwar nicht spurlos an ihm vorübergegangen, aber die dunklen Augenringe nahm er gern in Kauf. Manchmal summte er beschwingt vor sich hin, und er hatte sich sogar bei dem einen oder anderen Freudensprung ertappt.
Sie war unglaublich. Er konnte sein Glück kaum fassen. Dass diese Traumfrau ihn erhört hatte! Mittlerweile hatten sie bereits über ihre gemeinsame Zukunft gesprochen. Sie waren sich rührend einig, dass sie eine hatten. Ohne jeden Zweifel. Mellberg, der immer eine gesunde Skepsis gegenüber festen Beziehungen an den Tag gelegt hatte, war völlig aus dem Häuschen.
Sie hatten auch viel über die Vergangenheit geredet. Er hatte ihr von Simon erzählt und stolz das Bild von dem Sohn gezeigt, der so spät in sein Leben getreten war. Rose-Marie meinte, der Junge sehe genauso gut aus wie sein
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