Die Totgesagten
Molin.« Er warf Martin einen kurzen Blick zu. »Ist Kerstin zu Hause? Wir würden uns gern ein wenig mit ihr unterhalten.«
Sofie machte einen Schritt zur Seite. Während Patrik und Martin im Hausflur stehen blieben, ging sie in die Wohnungund rief laut: »Kerstin, die Polizei ist da. Sie wollen mit dir reden.«
Kerstin kam aus einem der Zimmer. Auch ihr Gesicht war verweint. Schweigend stand sie im Flur, und weder Patrik noch Martin wussten, wie sie sich an das herantasten sollten, was sie nun sagen und fragen mussten. Schließlich erwachte sie aus ihrer Starre und bat die beiden herein.
Sie zogen sich die Schuhe aus und folgten ihr in die Küche. Sofie wollte es ihnen nachtun, aber vielleicht spürte Kerstin instinktiv, dass das nun folgende Gespräch nicht für ihre Ohren bestimmt war. Sie schüttelte fast unmerklich den Kopf. Einen Augenblick sah es so aus, als wollte Sofie nicht akzeptieren, dass sie ausgeschlossen wurde, doch dann ging sie achselzuckend in ihr Zimmer und machte die Tür hinter sich zu. Sie würde noch früh genug erfahren, worum es ging. Vorerst wollten Patrik und Martin ungestört mit Kerstin reden.
Kaum dass sie saßen, kam Patrik zur Sache.
»Bezüglich des Unfalls gibt es noch ein paar … ungeklärte Fragen.«
»Ungeklärte Fragen?« Kerstins fragender Blick wanderte zwischen Patrik und Martin hin und her.
»Ja«, antwortete Martin. »Marit wies gewisse Verletzungen auf, die möglicherweise nicht auf den Unfall zurückzuführen sind.«
»Möglicherweise? Sie wissen es also nicht?«
»Nein, wir sind noch nicht sicher«, gab Patrik zu. »Wenn wir den abschließenden Bericht des Gerichtsmediziners haben, wissen wir mehr. Aber angesichts einiger Fragen, die in der Zwischenzeit aufgetaucht sind, würden wir uns gern ein wenig eingehender mit Ihnen unterhalten. Gibt es Grund zu der Annahme, dass irgendjemand Marit schaden wollte?«
Patrik sah, dass Kerstin zusammenzuckte. Er spürte mehr, als dass er es sah, wie ihr ein Gedanke durch den Kopfschoss. Ein Gedanke, den sie sofort verwarf. Doch er musste diesen Gedanken ans Tageslicht holen.
»Wenn Sie jemand kennen, der möglicherweise die Absicht hatte, Marit Schaden zuzufügen, müssen Sie es uns sagen. Nicht zuletzt, um auszuschließen, dass diese Person etwas mit Marits Tod zu tun hat.« Patrik und Martin beobachteten sie gespannt. Sie schien mit sich zu ringen.
»Wir haben manchmal Briefe bekommen.« Die Worte kamen langsam und widerwillig.
»Briefe?«, bohrte Martin nach.
»Ja.« Kerstin drehte den goldenen Ring an ihrem linken Ringfinger. »Wir haben vier Jahre lang Briefe bekommen.«
»Was stand in diesen Briefen?«
»Drohungen, Beschimpfungen, Gemeinheiten über unsere Beziehung.«
»Die Art Ihrer Beziehung war also der Grund für die Briefe?«
»Ja«, antwortete Kerstin widerstrebend. »Der Absender wusste, dass wir mehr als Freundinnen waren, und …« Sie suchte nach dem richtigen Wort. »… missbilligte das.«
»Worin bestanden diese Drohungen? Waren sie schwerwiegender Art?« Martin schrieb nun jedes Wort mit. Diese Informationen sprachen wirklich für die Vermutung, dass Marits Tod kein Unfall gewesen war.
»Es waren richtig böse Drohungen. Frauen wie wir seien widerlich und abartig. Solche wie wir sollten sterben.«
»Wie oft bekamen Sie diese Briefe?«
Kerstin dachte nach. Nervös drehte sie ihren Ring am Finger. »Wir bekamen ungefähr drei, vier Briefe im Jahr. Manchmal mehr, manchmal weniger. Es schien kein System dahinterzustecken. Es sah eher so aus, als hätte derjenige sie geschickt, wenn es ihm gerade in den Sinn kam. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Warum haben Sie nie Anzeige erstattet?« Martin blickte von seinem Notizblock auf.
Kerstin verzog ihr Gesicht zu einem gequälten Lächeln. »Maritwollte es nicht. Sie fürchtete, dass es das Ganze noch schlimmer machen würde. Dass die Angelegenheit und damit unsere Beziehung an die Öffentlichkeit kommen könnte.«
»Und das wollte sie nicht?« Im selben Augenblick fiel Patrik wieder ein, dass Kerstin dies als Grund für ihren letzten Streit angegeben hatte. Danach hatte Marit die Wohnung verlassen. Und war nie zurückgekehrt.
»Nein, das wollte sie nicht«, erwiderte Kerstin tonlos. »Die Briefe haben wir trotzdem aufbewahrt.« Sie stand auf.
Patrik und Martin sahen sich verblüfft an. Das war mehr, als sie zu hoffen gewagt hatten, es war ihnen nicht mal eingefallen, danach zu fragen. Vielleicht ließ sich ja ein Hinweis auf den Verfasser
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