Die Traene des Drachen
Frau ihre Familie, vor allem die Kinder, über die Jahre hinweg festgehalten. Es waren hauptsächlich Porträts, aber auch einige Bilder, die sie draußen im Hof oder im Garten angefertigt hatte: die kleine Kaitlyn, wie sie um den Brunnen herum ihre ersten Schritte machte, Louan, der unter dem Apfelbaum saß und einen Apfel mampfte, Kellen, wie er stolz sein erstes eigenes Pferd am Zügel hielt, und natürlich auch sie, wie sie Pfeile auf Albins gebastelte Vogelscheuchen schoss. Ein Bild jedoch erregte besonders Eleas Aufmerksamkeit. Es musste neueren Datums sein. Es zeigte eine junge Frau, nämlich sie selbst. Breanna hatte ihre drei unverkennbaren Strähnen herausgearbeitet. Das Gesicht ähnelte jedoch nur wenig jenem, das sie aus ihren Kindertagen noch in Erinnerung hatte. Sie trat, wie gebannt, näher an das Bild heran und starrte es an. Aus ihrem tranceähnlichen Zustand gerissen, spürte sie plötzlich, wie jemand sie vorsichtig am Arm zupfte. Sie wandte ihr Gesicht von ihrem Porträt ab. Breanna stand neben ihr und hielt eine Tasche in der Hand. Sie sah das Mädchen besorgt an. „Ist alles in Ordnung, Elea? - Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich bemerkt habe, dass du mir gar nicht zuhörst.“ Mit einem leichten Zittern in der Stimme, fragte Elea: „Dieses Bild da... von mir... Sehe ich wirklich so aus?“ Die Frau lächelte. „Ja. So siehst du jetzt aus. Du bist wunderschön, nicht wahr!? Wann hast du eigentlich zum letzten Mal in den Spiegel geschaut?“
„ Heute. Als ich mit Kellen am See war, habe ich mein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche betrachtet. Aber das habe ich nicht gesehen.“
„ Jetzt, wo du weißt, wie schön du bist, hast du vielleicht Verständnis für Kellens romantische Gefühle, die er für dich empfindet. Du hast nicht nur einen liebenswerten Charakter. Auch wenn du alles nur Erdenkliche unternimmst, um deine Weiblichkeit zu verstecken, kann man, wenn man dich genauer ansieht, unschwer erkennen, dass du eine wunderschöne, junge Frau bist.“
„ Ich verstecke sie doch gar nicht, Breanna. Sie ist mir nur nicht wichtig und ich empfinde sie als störend, bei dem, was ich den ganzen Tag unternehme“, verteidigte sich Elea. „Das weiß ich doch! Es sollte auch gar kein Vorwurf sein. Ich habe es eben nur hin und wieder bedauert, dass du Jungenkleider trägst, die manchmal nur so vor Dreck standen. Dann wiederum gab es Momente, in denen ich es gar nicht so schlecht fand, dass deine weiblichen Reize verborgen blieben – wegen Kellen.“ Breanna hielt inne, da vom Stall herkommend Stimmen zu vernehmen waren. Die Frau sprach leise weiter. „Ich glaube sie kommen bald wieder zurück ins Haus. Wir müssen uns beeilen. Ich habe dir hauptsächlich Dinge eingepackt, von denen ich weiß, dass du sie niemals mitnehmen würdest, weil du sie für unnötig oder unpraktisch hältst, aber glaube mir, du wirst sie brauchen. Außerdem habe ich dir ein paar nützliche Heilmittel mit eingepackt. Ich habe dir alles, was du darüber wissen musst, beigebracht. Proviant und ein voller Wasserschlauch sind auch schon drinnen. Du musst nur noch Wechselkleidung und Unterwäsche einpacken.“ Breanna stellte die Tasche auf das Bett. Dann zeigte sie auf den Stuhl neben dem Schrank, auf dem ein paar Kleidungsstücke lagen. „Ich habe dir vor einiger Zeit Lederkleidung genäht. Die ist robuster als deine anderen Anziehsachen. Außerdem hält sie wärmer und nimmt nicht so schnell Nässe auf. Und Albin hat dir leichte, aber widerstandsfähige Stiefel genäht, in denen du sicherlich weite Strecken gehen, aber auch schnell rennen kannst.“ Breanna warf der jungen Frau einen verschwörerischen Blick zu. „Ich gehe davon aus, dass du nicht vorhast, dich auf ein Pferd zu setzen, oder etwa doch?“ Elea schüttelte den Kopf. „Das Bündel, das auf dem Boden liegt, ist ein warmer Umhang aus dickem Wolfsfell. In den kannst du dich auch einwickeln, wenn du dich schlafen legst.“
Elea hörte der Frau stumm und mit zunehmendem Staunen zu. Breanna hatte sich offensichtlich schon für diesen schicksalhaften Tag vorbereitet und wollte nichts dem Zufall überlassen. Die Stimmen wurden immer lauter und man hörte auch schon die Schritte der Männer im Hof. Breanna schloss schnell die Tür ihres Schlafzimmers und kam zurück zu Elea. „So mein Kind! Jetzt muss ich dir noch einen Ratschlag von Frau zu Frau mit auf den Weg geben.“ Elea wurde hellhörig und riss ihre Augen erwartungsvoll auf. „Du bist hier bei uns
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