Die Traene des Drachen
Sie erschrak, als sie den dicken Wundschorf auf den Fingerknöcheln und den immer noch geschwollenen und blau unterlaufenen Handrücken sah. „Wie ist das denn passiert? Sag schon!“, forderte sie ihn mit Nachdruck auf. „Am ersten Abend, als wir in Moray ankamen, war ich so außer mir wegen der ganzen Situation und wegen meiner Hilflosigkeit, dass ich aus lauter Wut mit der Faust gegen meine Tür geschlagen habe.“
„ Und das – so wie es aussieht – mit all deiner Kraft. Sie ist bestimmt gebrochen. Du musst doch Schmerzen haben?!“, erwiderte sie zugleich vorwurfsvoll und mitfühlend. Bevor sie wieder das Tuch um die Hand wickelte, streichelte sie noch zärtlich über den Handrücken und drückte sanft ihre Lippen darauf. Maél erwiderte darauf mit stockendem Atem: „Sicherlich nicht so große wie du. – Wir sollten jetzt schlafen. Du bist erschöpft und hast Schmerzen. Hast du etwas gegen die Schmerzen dabei?“ Sie holte aus ihrer kleinen Tasche die Flasche mit dem Bilsenkrautsud und trank diesmal eine größere Menge davon. Dann kuschelte sie sich auf dem Rücken liegend an Maél, der sich bereits unter das Schlaffell auf die Seite gelegt hatte. Den einen Arm legte er wie ein schützendes Nest um ihren Kopf, während er sie mit dem anderen umschlang, ohne auch nur in die Nähe der schmerzenden Wunde zu kommen. „Wie geht es jetzt weiter? Und was machen wir mit Finlay?“, wollte Elea mit müder Stimme wissen. „Mach dir wegen Finlay keine Sorgen. Jadora ist wahrscheinlich gerade dabei, ihn über alles aufzuklären. Er machte auf mich einen überraschend gefassten Eindruck, was uns beide angeht. Und morgen früh, werden wir überlegen, wie wir bei der Suche vorgehen werden.“
Kapitel 2
Maéls unruhiger Schlaf endete schon vor Einsetzen der Morgendämmerung. Vorsichtig löste er sich von Elea und packte sie wie ein Baby eng in das warme Fell ein. Anschließend kleidete er sich an und verließ das Zelt, um ein wärmendes Lagerfeuer zu machen. Lautes Schnarchen drang aus den beiden Zelten an seine empfindlichen Ohren. Mit leisen Schritten ging er auf den lichten Wald zu, um Brennholz zu sammeln. Seinen scharfen Augen entging dabei nicht die Gestalt, die an einem Baum angelehnt auf dem Boden saß. Es war Finlay, der ihn längst hatte kommen sehen. Maél hatte den Vorteil, von seinem Gesicht sämtliche Gefühle ablesen zu können, die den Mann im Augenblick beherrschten. Offensichtlich hatte Jadora Bericht erstattet. Maél konnte Verwunderung und Ratlosigkeit, aber auch Skepsis und Unglauben erkennen. Er zögerte einen kurzen Moment, in dem er überlegte, ob er ihn einfach ignorieren und im Wald Brennholz suchen gehen sollte oder ob er sich zu ihm setzen sollte. Merkwürdigerweise verspürte er gar nicht mehr den Groll, den er noch in Moray gegen ihn gehegt hatte. In Anbetracht der Tatsache, dass er ihn für seinen Plan brauchte, setzte er sich neben ihn. Finlay ließ es geschehen ohne ein Wort, ohne eine Regung. So saßen die beiden Männer eine kleine Weile schweigend nebeneinander – wie in alten Tagen, als sie noch unzertrennbar waren. Maél durchbrach schließlich die Stille. „Jadora hat dir alles erzählt, nehme ich an?“
„ Ist das wirklich alles wahr, das mit ihren Energiewellen aus schönen Gefühlen, ihrer seherischen Gabe und ihrer Fähigkeit, Gedanken zu übertragen? Es ist unglaublich!“
„ Ja! Das ist es, Finlay. Du wirst es noch selbst erleben.“
„ Und all das ist durch eure Liebe geschehen? Wie ist so etwas möglich?“
„ Ja. Das wüsste ich auch gerne. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir sie mit dem Drachen zusammenbringen. Er wird ihr - so hoffe ich - mit seinem unermesslichen Wissen sagen können, was sie ist und woher sie stammt. Und ich hoffe, dass er ihr auch helfen kann, ihre Gaben zu kontrollieren und besser zu nutzen, um sich so selbst gegen alles Böse verteidigen zu können.“
„ Was sie alles schon durchmachen musste, erst durch dich, dann durch die Kerle in dem Wald, der Sturz von dem Felsen im Sumpf und das Drachenfest und dann noch durch Darrach! Jadora sprach auch von der Prophezeiung. Ist denn von dem, was sie besagt bereits etwas eingetreten?“ Maél nickte, was Finlay dank des beginnenden Morgengrauens sehen konnte. „Du musst sie selbst lesen. Ich will darüber nicht reden. Es ist zu schmerzlich für mich.“
„ Dass dich etwas schmerzt – also gefühlsmäßig – grenzt an ein Wunder. Aber Elea ist ja auch so etwas wie ein
Weitere Kostenlose Bücher