Die Traene des Drachen
versunken, dass er nicht bemerkte, dass sie bereits wach war. Oder er ignorierte sie schlichtweg – warum auch immer. Falls letzteres zutraf, so ließ sie sich davon jedoch nicht beeindrucken. Ohne ein Wort zu sagen, näherte sie sich ihm und drückte ihm sanft ihre Lippen auf seine Wange. Endlich rührte er sich. Mit seinem Daumen strich er über die Stelle unter ihrem Auge, wo vor mehr als einer Woche noch der blaue Bluterguss geprangt hatte. Er hielt ihren Blick ein paar Atemzüge lang gefangen. Dann erhob er sich abrupt und kleidete sich wortlos an. Elea schloss sich ihm an – ebenfalls wortlos. Niedergeschlagen blickte er noch kurz zu ihr auf. Einen Wimpernschlag später war er auch schon verschwunden. Bei dem traurigen Blick, den er ihr zuwarf, verkrampfte sich Eleas Magen, wobei die Verkrampfung langsam auch ihre Kehle hinaufkroch und sie zuschnürte. Ihre gemeinsamen Tage waren gezählt, vielleicht war es heute sogar ihr letzter.
Die Morgendämmerung hatte sich bereits über die Schneegipfel des Akrachóns gelegt, als Maél ins Freie trat und die anderen wecken ging. Anschließend ging er zu den Pferden. Ihm war nicht nach menschlicher Gesellschaft zumute.
Jadora löste Elea beim Zeltabbau ab, damit sie etwas essen konnte. Doch sie würgte nur ein paar Bissen hinunter, die sie nur mit viel Eiswasser ihre Kehle hinunterbefördern konnte. Sie hatte das Gefühl, sie blieben ihr sonst im Halse stecken. Jadora bedachte sie gleich mit einem bösen Blick, als er die nicht einmal halb leer gegessene Schale vor ihr stehen sah. Sie entschuldigte sich damit, dass sie Finlay beim Packen helfen und nach seinen Händen schauen wolle. Bei der Gelegenheit bat sie ihn, seine Männer zu ihr zu schicken, damit sie nach ihren Verletzungen sehen konnte. „Ich dachte, wir brechen, so schnell wie möglich auf. Weiß Maél davon? Falls nicht, dann will ich nicht derjenige sein, der ihn davon unterrichtet. Seine Laune ist heute Morgen nicht die beste.“
„ Er wird sich damit abfinden müssen. Ich werde es auf jeden Fall nachholen. Ich habe schon ein schlechtes Gewissen, weil ich sie nicht längst versorgt habe.“
„ Mach dir keine Sorgen, Mädchen! Ich habe mich einigermaßen um sie gekümmert. Ein bisschen kenne ich mich auch darin aus. Wir sind ja Krieger und da kommt es ja nicht selten vor, dass man verletzt wird.“
Elea hatte bereits Finlays Hände versorgt und neue Verbände angelegt und wollte sich gerade eine Bisswunde eines Kriegers am Arm ansehen, als Maél auch schon mit schnellen Schritten auf sie zumarschiert kam.
„ Hast du jetzt etwa vor alle Wunden, die bereits älter als ein Tag sind, dir anzuschauen? Du weißt doch, dass Darrach uns im Nacken sitzt! Jadora hat sie bereits alle versorgt. Das muss genügen.“ Maél war seine Aufgebrachtheit anzumerken, auch wenn er offensichtlich darum bemüht war, sie hinter einem halbwegs freundlichen Ton zu verbergen. „Mein Gefühl sagt mir, dass wir die Höhle bald gefunden haben werden. Ich muss mir ihre Verletzungen wenigstens mal ansehen. Außerdem wissen wir ohnehin nicht, wohin wir gehen sollen, solange der Adler nicht da ist. Ich schaue ständig hoch zum Himmel. Bis jetzt ist er noch nicht aufgekreuzt“, erwiderte Elea mit ruhiger Stimme. „Da täuschst du dich aber. Du schaust in die falsche Richtung. Er sitzt da hinten bei den Pferden auf einem Ast, schon seit ich mich dort aufhalte. Er scheint nur darauf zu warten, dass du dich endlich in Bewegung setzt“, erwiderte Maél jetzt schon etwas gereizter. Elea schaute zu den Pferden hinüber. Und tatsächlich: Der Adler saß majestätisch auf einem dicken, knorrigen Ast und schien mit seinen Augen jede ihrer Bewegungen zu verfolgen. Elea nahm auf ihre Weise Kontakt mit ihm auf. Im Gegensatz zu Maéls derzeitiger Gefühlswelt waren seine Gefühle Geduld und Gelassenheit, die sie von ihm empfing. „Maél, sieh in dir an! Er ist völlig ruhig. Er vermittelt mir keine Angst. Vögel haben einen guten Instinkt, wenn Gefahr droht. Ich werde jetzt auf jede Wunde einen Blick werfen. Dann können wir sofort aufbrechen. Wir sind ja bereits aufbruchbereit. Dank deines morgentlichen Anfalls von Übereifer sind schon alle Pferde gesattelt.“ Auch Elea war nun bemüht, ihren spitzen Ton zu unterdrücken. Ohne ihn weiter zu beachten, machte sie sich an die Arbeit, während er betont laut die Luft einatmete und wieder ausstieß. Daraufhin nahm er sich ihre halbleer gegessene Schale vor.
Elea arbeitete so schnell wie
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