Die Traene des Drachen
möglich. Sie kam jedoch zu Maéls Verdruss nicht umhin, zwei Wunden mit ein paar Stichen zu nähen, da sie immer noch bluteten. Fluchend stampfte er bei den Pferden auf und ab.
Die Männer bestiegen ihre Pferde bei schon recht fortgeschrittenem Morgen. Elea ließ sich jedoch davon nicht aus der Ruhe bringen. Sie ging zu dem Adler, der immer noch auf dem Ast saß, und führte noch ein stummes Gespräch mit ihm, was von den sechs Kriegern befremdet, von Jadora und Finlay fasziniert und von Maél verärgert beäugt wurde. Als sie dann noch zu Shona eilte, auf der bereits Finlay saß, um ihr ein paar Streicheleinheiten zukommen zu lassen, kam Maél gereizt zu ihr geritten und nötigte sie, seine ausgestreckte Hand zu ergreifen, um sie zu sich hoch zu ziehen. Jadora beobachtete die beiden die ganze Zeit über wieder mit einem Grinsen, während Finlay damit beschäftigt war, auszuprobieren, wie er am schmerzlosesten mit der rechten Hand die Zügel halten konnte. Elea hatte ihm den Verband an dieser Hand so angelegt, dass er den Daumen frei bewegen konnte. Die linke Hand ruhte immer noch in einem stabilen Verband.
Sobald Maél sich in Bewegung gesetzt hatte, breitete der Adler seine Schwingen aus und hob von seinem Ast ab. Er stieg in den Himmel hoch und flog der Reitergruppe weit voraus, kam jedoch in zunächst weiten, und dann immer kleiner werdenden Kreisen zu ihnen zurückgeflogen, um ihnen dann wieder ein Stück vorauszufliegen. Auf diese Weise setzte sich die Reise der zehnköpfigen Reitergruppe eine ganze Weile fort. Der Adler führte sie in noch felsigeres Gelände durch Schluchten noch weiter in nordwestliche Richtung, in borayanisches Gebiet. Maél konzentrierte sein Gehör auf alle Geräusche in ihrer näheren, aber auch entfernteren Umgebung. Er wollte nicht noch einmal von einem Überfall überrascht werden wie damals im Wald bei Kaska. In dieser unwirtlichen Gegend hatten sie zwar nicht mit Wegelagerern zu rechnen, aber möglicherweise mit Spähtrupps von König Eloghan. Maél hielt es allerdings für eher unwahrscheinlich, dass sie im Winter so tief im Akrachón auf borayanische Krieger stoßen würden. Dass sie sich schon sehr nahe an der Hochgebirgskette bewegten, bereitete ihm viel mehr Kopfzerbrechen. „Wenn dein Adler uns noch eine halbe Meile tiefer in den Akrachón führt, dann müssen wir ohne die Pferde weitergehen und die verschneiten Berge hochklettern. Und dies ist fast unmöglich. Du siehst selbst, wie steil sie sind. Und ich rede noch nicht einmal von der bitteren Eiseskälte, die nachts über uns hereinbrechen wird.“ Elea heftete, wie so oft, ihren ängstlichen Blick auf die steil in den Himmel emporragenden Berge, die sie auf unbehagliche Weise an die spitzen Zähne eines gefährlichen Raubtiers erinnerten. Sie weigerte sich aber inzwischen, sie mit den Zähnen eines Drachen zu vergleichen. Der Himmel verhieß auch nichts Gutes. Im Laufe des Tages hatte sich über sein Blau eine dicke, graue Wolkendecke gezogen, die zweifelsohne wieder Schnee bringen würde. Finlay kam an Maéls und Eleas Seite geritten. Er hatte Maéls Bemerkung unschwer verstehen können, da Shona bereits wieder den ganzen Tag an Aroks Hinterteil klebte. „Hast du mir nicht einen Vortrag darüber gehalten, dass wir uns erst mit einem Problem auseinandersetzen sollen, wenn wir vor einem stehen. Jetzt mache ihr nicht unnötig Angst mit deiner Schwarzmalerei! Ihr steht noch einiges bevor. Das weißt du am besten.“ Bei den letzten Worten warf Finlay seinem Jugendfreund einen vielsagenden Blick zu, den Maél stumm zur Kenntnis nahm. Elea brachte kein Wort heraus, da sie wieder mit einem stetig anwachsenden Kloß zu kämpfen hatte. Ihr erster Gedanke bei Maéls Worten galt Shona, die sie im Ernstfall einfach zurücklassen müsste. Sie sah immer wieder ängstlich zu dem Adler hinauf, der gerade wieder direkt über ihnen flog und sie in eine Schlucht führte, die so eng war, dass gerade noch zwei Reiter nebeneinander passten. Links und rechts von ihnen stiegen schneebedeckte, steile Felswände in die Höhe, sodass es Elea fast schwindelig wurde, als sie versuchte, die Gipfel mit ihren Augen zu erfassen. Mit einem Mal begann ihr Körper, vor Aufregung zu beben. „Maél, hier sieht es genauso aus wie in meinem Traum. Das Einzige, was anders ist, ist die Kälte. In meinem Traum war es trotz des Schnees und des Eises um mich herum warm.“ Maél nickte ihr zu, während sich sein Gesichtsausdruck etwas entspannte. Finlay, der
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