Die Traene des Drachen
er nicht abschätzen, wie weit dieser vom Schneeberg entfernt war. Er konnte nur hoffen, dass Darrach sich ganz nahe an der Lawine aufhielt, sodass er nicht mehr all zu weit laufen musste. Seine Beine standen kurz davor, ihren Dienst zu verweigern und seine Lungen ebenso. Noch ein paar Schritte, schätzte er, dann würde er schockartig in die frostige Kühle eintauchen, die er im Moment mehr denn je herbeisehnte. Und plötzlich... war es soweit. Kurz bevor er aus dem Schnee taumelnd hinausstürzte, sah er noch, dass Darrach nicht einmal zwei Schritte von der aus seiner Sicht unüberwindbar wirkenden Schneewand entfernt stand. Als Finlay aus dem magischen Feld ins Freie stolperte, konnte er aus dem Augenwinkel Darrachs erschrecktes Zusammenzucken sehen. Zu mehr war er jedoch nicht mehr fähig. Er vergrößerte noch mit ein paar Schritten seinen Abstand zu Darrach, katapultierte Maél regelrecht von seiner Schulter unsanft auf den Boden und ließ sich dann einfach auf den Boden fallen. Auf diese Weise lag er halb auf Maéls Oberkörper und riss ihm durch seinen eigenen Körper verdeckt rasch den Stein vom Hals. Er steckte ihn sich sofort schwer atmend vorne in seinen Ausschnitt. Erst dann konnte er sich halbwegs entspannen und seinem Körper die nötige Erholung gönnen.
Es dauerte nicht lange, bis er sich lamgsam nähernde, im Schnee knirschende Schritte hörte. Darrach war im Anmarsch. Finlay lag immer noch halb auf Maél mit dem Gesicht nach unten. Maél war, wie es schien, immer noch ohne Bewusstsein. Er gab kein Lebenszeichen von sich. Plötzlich erschienen in Finlays Blickfeld Fellstiefel. Er wartete noch ein paar Augenblicke, bis er seinen Kopf so drehte, um dem Zauberer ins Gesicht zu sehen.
„ Prinz Finlay! Mit Euch habe ich gerechnet. Aber dass ihr meinen kostbarsten Schatz wieder zurückbringt, hatte ich nicht erwartet. Und dann auch noch so gut verschnürt, dass ich gar nicht mal meine Magie anwenden muss, um ihn in Schach halten zu müssen. Ich bin Euch zu großem Dank verpflichtet“, sagte er mit gespielter Freundlichkeit, die nur so von beißender Ironie triefte. Finlays Selbstbeherrschung wurde hart auf die Probe gestellt. Gerade hatte er noch mit dem Gedanken gespielt, ihm ins Gesicht zu schreien, dass er alles über ihn wusste, auch dass er es war der den Befehl gegeben hatte, seine Mutter zu ermorden. Doch als er in die kalten, Überlegenheit ausstrahlenden Augen des Zauberers sah, besann er sich eines Besseren. Er wollte ihn nicht unnötig erzürnen und ihn womöglich in die Zwangslage bringen, ihn ebenfalls aufgrund dieses Wissens töten zu müssen. Daher wollte er lieber den Unwissenden spielen, auch in Bezug auf Maél und Elea.
Aus dem Augenwinkel sah Finlay mit einem Mal, Jadora sich eilig ihnen nähern. Als er dessen bekümmerten Gesichtsausdruck sah, überkam ihm die Befürchtung, dass der Hauptmann Darrach bereits über alles ins Bild gesetzt hatte. Darrach entgingen nicht die Blicke, die die beiden Männer austauschten. „Ihr braucht Euch nicht zu bemühen. Hauptmann Jadora hat mich bereits über alles aufgeklärt. Auch über die Liebe zwischen Maél und der Hexe.“ Finlay konnte nun doch nicht umhin, sich ungehalten zu erheben, sodass er dem ihn um eine halbe Kopflänge überragenden Zauberer gegenüberstand. In streitlustigem Ton richtete er das Wort an ihn. „Das habt Ihr also über Elea herausbekommen, dass sie eine Hexe ist?“
„ Ja! In der Tat, so ist es. Sie ist eine Farinja und entstammt einem uralten Hexengeschlecht, das eigentlich längst als ausgestorben gilt. Von den Fähigkeiten dieser Hexen muss ich Euch ja nicht berichten. Ihr habt sie sicherlich selbst erleben dürfen“, erwiderte der Zauberer mit einem wissenden Blick und einem eiskalten Lächeln auf seinen Lippen. Du weißt bei weitem nicht alles über sie, du Schweinehund! Finlay zeigte sich von Darrachs Äußerung wenig beeindruckt. „Ist es nicht merkwürdig, dass fast zeitgleich drei magische Wesen in Moraya auftauchen: eine Hexe, ein Drache und... ein Zauberer? Weiß mein Vater von Eurer wahren Identität?“ Er war gespannt zu erfahren, ob sein Vater davon wusste und mit diesem Wissen seinen Berater und dessen dunkle Macht gedeckt hatte. „Um Eure zweite Frage zu beantworten: Ja. Euer Vater weiß von meiner wahren Natur. Er sah in mir nie eine Gefahr, sondern eher ein Werkzeug für seine eigenen ehrgeizigen Ziele, genau wie ich in Maél für meine. Was Eure erste Frage angeht, so muss ich Euch gestehen,
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