Die Traene des Drachen
dass ich mir darüber auch schon meine Gedanken gemacht habe. Ich bin jedoch zu dem Schluss gekommen, dass kein tieferer Sinn dahinter steckt. Mich gab es schon, bevor die Farinja auf die Welt kam. Und als ihre Bestimmung ihren Anfang nahm, war abzusehen, dass es nicht lange dauern würde, bis ihr Drache aus seinem hundertfünfzig Jahre alten, geheimen Versteck herausgelockt werden würde.“
„ Ihr seid der Bösewicht, vor dem Elea das Menschenvolk retten soll“, schleuderte Finlay ihm plötzlich mit sich fast überschlagender Stimme entgegen. „Oder Euer Vater, der möglicherweise die Menschen in einen Krieg der Selbstzerstörung stürzt und sie obendrein mit seinen Eroberungsbestrebungen unvorhersehbaren Gefahren aussetzt.“ Finlay wollte schon zu einer erneuten, provozierenden Erwiderung ansetzen, als Jadora, der bisher der Auseinandersetzung mit angehaltenem Atem still beigewohnt hatte, sich nervös zu räuspern begann. Er warf Finlay einen warnenden Blick zu. Daraufhin schluckte dieser das, was ihm gerade auf der Zunge lag, zähneknirschend hinunter. Jadora nahm sich schließlich ein Herz und ergriff das Wort mit fester Stimme. „Wenn Ihr keine weiteren Fragen mehr an uns habt, Darrach, dann werden meine Männer und ich mit Prinz Finlay den Heimweg antreten. Unsere Vorräte sind so gut wie aufgebraucht. Und wie Ihr unschwer sehen könnt, ist der Prinz verletzt. Wir hatten eine unerfreuliche Begegnung mit zwei Wolfsrudeln, bei der Finlay sogar einen Finger verloren hat. Ich denke, es wäre im Sinne des Königs, wenn wir ihn sicher zurück nach Moray brächten.“
Während Jadora sprach, sah Finlay auf Maél hinunter, der scheinbar immer noch nicht das Bewusstsein wiedererlangt hatte. Ihn jetzt einfach hilflos seinem Peiniger ausgeliefert zurückzulassen, fiel ihm schwerer als er erwartet hatte, und das obwohl er wusste, dass seine Mutter durch seine Hand den Tod gefunden hatte. Aber er durfte jetzt nicht auch noch diesen Teil von Maéls Plan zum Scheitern bringen, nachdem er wider seinem Willen den Berg lebend verlassen musste. Zumal Maél ihn auch noch mit der nicht gerade einfachen Aufgabe betraut hatte, sich um Elea zu kümmern – was er ohnehin getan hätte.
Es war eine qualvolle Stille entstanden, in der von Augenblick zu Augenblick die Anspannung der beiden Männer fast greifbar wurde. Darrachs misstrauischer Blick schweifte zwischen dem Prinzen und dem Hauptmann hin und her. Er spürte die angespannte Haltung der beiden Männer und kostete diesen Moment aus. Sie hatten offenkundig Angst vor ihm, da sie ihn und seine Fähigkeiten nicht einzuschätzen wussten. Endlich begann er zu sprechen. „Ich hoffe, Ihr seid Euch dessen bewusst, Finlay, dass Ihr meinen und Eures Vaters ursprünglichen Plan zunichte gemacht habt. Ihr habt Maél gewaltsam von der Hexe getrennt – natürlich auf seinen Wunsch hin -, obwohl ich ihm befohlen habe, mit ihr und dem Drachen zurückzukehren. Ich müsste darüber alles andere als erfreut sein. Aber es hätte schlimmer kommen können. Ihr hättet ihn töten können. Dann würde ich jetzt mit leeren Händen dastehen. Außerdem hat sich eine ungeahnte Wendung ergeben, die sich für mich als ein Glücksfall erweisen könnte, wenn ich es geschickt genug anstelle. Von daher habt Ihr meine Erlaubnis, Euch auf den Rückweg zu machen. Maéls Pferd lasst aber hier! Er wird es noch brauchen.“
Kaum hatte Darrach das letzte Wort ausgesprochen, packte Jadora Finlay am Arm und zog ihn in Richtung seiner Krieger, die unterdessen eilig die Pferde gesattelt und mit dem Gepäck beladen hatten. Doch Darrach war noch nicht fertig. „Euch ist es selbstverständlich freigestellt, dem König von den Geschehnissen und unserer Begegnung zu berichten. Aber lasst Euch gesagt sein! Ich handle ganz im Sinne Eures Vaters, Finlay. Ich bin sein Berater und die Person seines Vertrauens und dies schon seit über fünfzehn Jahren. Wenn Ihr ihn also nicht noch mehr gegen Euch aufbringen wollt, haltet Euch mit wilden Spekulationen über meine möglichen Absichten zurück! Dies liegt in Eurem eigenen Interesse.“ Darrachs Blick schweifte bedrohlich zwischen Finlay und Jadora hin und her. Beide hatten sich widerwillig zu dem Zauberer umgedreht. „Aber auch im Interesse Eures Vaters..., wenn Ihr versteht, was ich meine!“ Der eiskalte Blick, mit dem er die beiden Männer dabei fixierte, ließ eine Gänsehaut über deren Körper wandern. Jadora spürte, wie Finlay sich versteifte, tief einatmete und
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