Die Traene des Drachen
diesen Gedanken nicht ein, obwohl er ihn durchaus gehört hatte. Endlich durchbrach er die Stille. „Nun sollte ich vielleicht ein paar deiner brennenden Fragen beantworten. Wo soll ich anfangen? Ich fange am besten mit deiner Person an. Du bist eindeutig eine Farinja. Dein Mal hat es mir verraten. Ich bin nie einer begegnet. Aber ich habe einiges über sie gehört, in der Zeit als ich noch nicht durch einen Pakt mit den Menschen an diese Höhle gebunden war. Dies ist aber schon sehr, sehr lange her. Die Farinjas entstammen einem uralten Hexengeschlecht, das eigentlich als ausgestorben gilt. Es gibt zwei Arten von Farinjas: die der schönen und die der schlechten Gefühle. Du bist eine Vertreterin von ersteren.“
Elea war fassungslos. Sie war tatsächlich eine Hexe. „Dann haben die Menschen auf dem Drachonya-Platz mich sogar zurecht als Hexe beschimpft.“
„ Ich spüre, dass draußen, außerhalb des Berges, eine dunkle Macht immer mehr an Stärke gewinnt. Das wird Darrach sein. Wir werden bald aufbrechen müssen. - Maéls und Jadoras Theorie, was das Erstarken deiner Gabe angeht, stimmt auch. Mit deiner zunehmenden Liebe zu Maél kam sie zur vollen Entfaltung. Das Zeichen hierfür ist dein Mal: Die Rosenknospe ist zu einer vollkommenen Blüte aufgegangen. Und ich muss dir leider auch sagen, dass er dir die Wahrheit gesagt hat bezüglich der Gefahr, die er für uns, aber vor allem für dich darstellt. Er ist durch den Schlangenring um seinen Hals Darrachs Sklave und muss sich seinem Willen beugen. Deshalb war es von ihm ein guter Schachzug Prinz Finlay mit in die Höhle zu nehmen. Ohne seine Hilfe wäre es ihm niemals gelungen, dich bei mir zurückzulassen.“ Als Elea dies hörte, setzte ihr Herz mehrere Schläge aus. „Er hat was? Er hat mich einfach verlassen, ohne sich von mir zu verabschieden? Er hat tatsächlich sein Versprechen gebrochen, dass wir uns, bevor ich mit dir von hier verschwinde, noch so nahe kommen würden, wie Liebende es tun? Das kann nicht sein, Arabín!“
„ Doch Elea. Es ist so gewesen. Es tut mir leid. Aber er hat richtig gehandelt, glaube mir. Er musste es tun, weil Darrach immer näher gekommen ist und dadurch seine Macht über ihn immer größer wurde.“
Elea war wie benommen. Trauer, Enttäuschung und - was am unerträglichsten war – ein Gefühl von Verlorenheit und Einsamkeit nahmen von ihr Besitz. Und dies obwohl sie gerade einen Gefährten auf Lebenszeit gefunden hatte. Plötzlich spürte sie etwas in ihrem Gesicht, etwas Feuchtes. Es war die Nässe ihrer Tränen, die aus ihren Augen wie kleine Bäche hervorschossen und ihre Wangen benetzten. Mit diesen Tränen kehrte auch Eleas Gefühl für ihren Körper zurück. Von Augenblick zu Augenblick wurde sie sich wieder ihrer einzelnen Körperteile gewahr, die sie auch gleich bewegte, um sich so davon zu überzeugen, dass sie ihr wieder gehorchten. Trotz des nicht versiegenden Tränenstroms öffnete Elea ganz zum Schluss ihre Augen, erst nachdem sie sich vergewissert hatte, dass ihr Körper wieder ihr gehörte. Ganz langsam hob sie die Lider an. Sie blickte direkt auf den riesigen Kopf des Drachen, der neben ihr ruhte. Er hatte ebenfalls die Augen geöffnet und sah sie neugierig an. Kaum hatte Elea ihn erblickt, bildete sich auch schon wieder ein Kloß in ihrem Hals, den sie jedoch schneller hinunterzuschlucken vermochte als üblich. Sie richtete langsam ihren Oberkörper auf, um ihn sich besser betrachten zu können. Der Drache hob ebenfalls seinen Kopf an, aber ganz langsam und vorsichtig, als wollte er die junge Frau nicht erschrecken. Elea konnte es kaum glauben. Er sah genauso aus wie in ihrem Traum. Nur erschien er ihr viel größer. Allein sein Kopf war so groß wie sie. Seine schuppenartige Haut war so rot wie ihre drei Haarsträhnen. Er hatte vier Hörner auf dem Kopf und lange, spitze Ohren, die sich an seinen Kopf schmiegten. Ihr Blick fiel auf seine Klauen mit den messerscharfen Krallen, die ebenso furchterregend wirkten wie die in ihrem Traum. Mit ihren beiden Händen wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie war so fasziniert und innerlich bewegt von dem Anblick des Drachen, dass sie sogar für eine Weile ihren überwältigenden Kummer vergaß. Ohne Scheu streckte sie ihre Hand nach seinem Maul aus und streichelte sanft über die raue, schuppige Haut. Sie war erstaunlich warm. „Kein Wunder, dass ich um mich herum diese wohlige Wärme gespürt habe!“, sagte sie, indem sie zum ersten Mal, seit sie bei
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