Die Traene des Drachen
werdet zweifelsohne wieder aufeinandertreffen. Die Frage ist nur – unter welchen Umständen. Zum anderen wiegt ihr Befehl schwerer als deiner, weil sie in meiner unmittelbaren Nähe sein wird, wenn es so weit kommen sollte, während du aller Wahrscheinlichkeit in Moray weilst. Tut mir leid!“
„ Ich dachte mir schon so etwas. Bring sie gesund zu ihren Eltern! Und halte sie immer warm. Sie neigt dazu, schnell zu frieren. Diese beiden unbedeutenden Befehle kannst du sicherlich erfüllen.“
„ Ich denke, das lässt sich einrichten. Leb wohl, Maél!“
Bei den letzten drei Worten des Drachen wurde Maél urplötzlich von Darrachs sämtliche Lebensenergie verschlingender Magie in die Knie gezwungen, die mit einem Schlag den überwältigenden Schmerz der Trennung von Elea in den Hintergrund rücken ließ. Die tiefe Stimme seines Herrn drang in seine Ohren. Erst ganz leise, dann aber unaufhaltsam immer lauter. „Ich befehle dir, Maél, die Hexe und den Drachen aufzuhalten! Gehorche!“ Maéls Hände zerrten hektisch an dem Schlangenring, der sich scheinbar um seine Kehle immer enger zog und ihm bereits das Atmen erschwerte. Der Drang, sich wieder Elea und dem Drachen zu nähern, wurde immer größer. Seine Knie rutschten schon Stück für Stück auf dem Schnee in ihre Richtung, während sein restlicher Körper sich zitternd dagegen wehrte. Er ließ jäh den Schlangenring los und krallte sich mit seinen Händen in den Schnee. Mit halb erstickter Stimme schrie er Arabín zu: „Ich kann mich nicht mehr lange gegen Darrachs Befehl widersetzen. Los! Verschwinde jetzt!“ Daraufhin entfaltete Arabín seine riesigen Schwingen und stieß sich mit einem urgewaltigen Schrei von dem Felsvorsprung ab. Mit nur wenigen Flügelschlägen, die lautstard die eisige Luft teilten, brachte er einen beachtlichen Abstand zwischen sich und seinem Berg. Ohne sich noch einmal umzudrehen, machte er sich daran, den gigantischen Akrachón in östliche Richtung zu überwinden. Erst jetzt fühlte er sich so frei wie schon lange nicht mehr. Hundertfünfzig Jahre lang war er zu diesem Schlaf auf dem Portal zur dunklen Seite verurteilt gewesen, um dort auf seine persönliche Erlösung zu warten: Elea, seine Reiterin und menschliche Gefährtin. Das Schicksal dieser außergewöhnlichen jungen Frau hatte sie zusammengebracht und aneinandergeschweißt.
Er spürte deutlich ihren Herzschlag auf seinem Rücken. Er war kräftig und ruhig. Auch seine alte, urgewaltige Kraft kehrte nach dem langen Schlaf und dem Kampf gegen den Zauberer wieder mit jedem Flügelschlag und jedem Atemzug in der eisigen Luft in seinen Körper zurück. Er würde sie brauchen und noch vieles mehr – für die dunklen Zeiten, die auf ihn und Elea warteten...
Epilog
„ Dass die Hexe dir ein Bild von sich zurückgelassen hat, wird mir für meinen neuen Zauberbann sehr nützlich sein. Ganz zu schweigen von dem langen Zopf - geflochten aus ihrem wahrhaft einzigartigen und wundervollen rotbraunen Haar -, den ich in deiner Satteltasche gefunden habe.“
Maél erkannte diese selbstgefällige Stimme sofort. Er konnte nur nicht ihren Besitzer sehen. Im Grunde genommen konnte er fast gar nichts sehen. Überall um ihn herum war Nebel oder Rauch oder beides. Er wusste es nicht. Das Einzige, was er erkennen konnte war, dass er wieder mit mehreren Seilen gefesselt und mit nacktem Oberkörper auf hartem steinernen Boden lag. So niederschmetternd und aussichtslos seine Entdeckung auch war, nahm er sie doch gelassen und ruhig zur Kenntnis. Es war keine Überraschung, sondern es war das eingetreten, womit er gerechnet hatte, seitdem er mit Elea und dem Drachen zum zweiten Mal die Höhle betreten hatte.
Sein ausgeprägter Geruchssinn nahm einen eigentümlichen Geruch wahr, der ihm gleichzeitig auch vertraut vorkam. Er konnte sich jedoch nicht daran erinnern, wo oder wann er ihm schon einmal begegnet war. Die verschiedenen Bestandteile, aus denen sich dieser merkwürdige Geruch zusammensetzte, konnte er sich ebenso wenig erklären. Aber er war sich jetzt ziemlich sicher, dass keine Nebelschwaden, sondern Rauchschwaden ihn umwaberten und ihm die Sicht auf das, was um ihn geschah, stahlen. Denn seine scharfen Ohren vernahmen mit einem Mal mehr als nur die Stimme des Zauberers, der leise unverständliche Worte in einem monotonen Singsang sprach. Er hörte das Knacken brennenden Holzes, aber auch das Züngeln der Flammen von Feuer. Auf dem Feuer schien, etwas zu kochen, da das Blubbern
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