Die Traene des Drachen
zeigen, wo kurz zuvor Jadora bereits dem Mädchen hinterher geeilt war, und machte sich ebenfalls an den Abstieg. Nach einer Weile sah er Jadora sich ihm nähern – laut nach Luft schnappend und ohne Elea. Bei ihm angekommen ließ er sich erschöpft auf den Boden fallen. „Sie ist verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Auf halber Strecke hörte ich ihren Schrei und als ich kurze Zeit später ankam, war keine Spur von ihr weit und breit zu sehen. Sie wurde geraubt, Maél! Wir sind in eine Falle gegangen! Es sieht so aus, als ob sie es auf sie abgesehen hatten, sonst hätten sie nicht auf
mein
Pferd geschossen. Wo waren nur deine übermenschlichen Sinne?!“ Jadoras Stimme überschlug sich vor Aufregung. Maél konnte im ersten Moment keinen klaren Gedanken fassen. Jadora hatte recht. Er hätte es eigentlich bemerken müssen, dass sie belauert wurden. Ein Gefühl von Angst und Machtlosigkeit nahm von ihm Besitz, das er bisher nur in Gegenwart von Darrach empfunden hatte, da er der einzige Mensch war, dem er hilflos ausgeliefert war. Sollte Elea tatsächlich in der Gewalt von irgendwelchen Wegelagerern sein oder war dies vielleicht wieder nur ein verzweifelter Rettungsversuch eines liebeskranken Jünglings? Die zweite Möglichkeit schloss er schnell aus, da Kellen höchstwahrscheinlich zu schwach war, um einen weiteren Rettungsversuch zu wagen. Außerdem hätte er es die letzten Tage – bevor sie den Wald erreicht haben – bemerkt, wenn sie jemand auf dem steppenartigen Gelände verfolgt hätte. Er hatte stets Augen und Ohren auch hinter sich offen gehalten.
Maél brachte seinen Puls und seine Atmung wieder unter Kontrolle. Er dachte eine paar Augenblicke angestrengt nach und teilte dann Jadora seinen auf die Schnelle gefassten Plan mit. „Jadora, du holst die Männer mit den Pferden. Ihr müsst den Abhang runterkommen – egal wie. Lass dir etwas einfallen! Ich werde zu Fuß sie suchen gehen.“
„ Aber wie sollen wir dich finden? Und woher willst du wissen, dass du sie in diesem unheimlichen Wald überhaupt finden wirst?“
„ Ich habe sie schon einmal in einem Wald gefunden, dann werde ich es noch ein zweites Mal. Ich markiere euch den Weg mit meinem Messer. Wenn ihr unten angekommen seid, haltet Ausschau nach Zeichen auf Baumstämmen! Und bewegt euch so leise wie möglich! Geht lieber etwas langsamer! Sobald ich die Kerle gefunden habe, komme ich euch entgegen, sodass wir die Pferde etwas entfernt von ihrem Lager verstecken können. Dann können wir überlegen, wie wir sie da wieder rausholen. Jadora,... ich zähle auf dich. Vermassle es nicht, ich warne dich! – Und vergiss Arok nicht!“ Kaum hatte Maél das letzte Wort ausgesprochen, preschte er auch schon den Rest des Abhangs hinunter.
Ein immer schärfer werdender Schmerz an ihrem rechten Ohr zwang Elea nach und nach an die Oberfläche ihres Bewusstseins. Dort endgültig angekommen, waren auf einmal so viele andere Schmerzen spürbar, die ihr die jüngsten Ereignisse schockartig in Erinnerung riefen. Eine lähmende Angst nahm von Elea Besitz. Sie war den Abhang hinuntergestürzt und vor den Füßen von dreckigen, halbverwesten Kerlen gelandet. So hatte sich ihr grauenvoller Anblick, der ja nur einen winzigen Moment gedauert hatte, in ihr Gedächtnis eingebrannt, bevor eine Faust mit voller Wucht ihren Kopf traf. Sie nahm vorsichtig – auf der Seite liegend und an Händen und Füßen gefesselt - ihre Umgebung in Augenschein. Ohne ihren Kopf zu bewegen, ließ sie ihre Augen umherwandern. Es war noch immer Tag. Also konnte sie nicht sehr lange ohnmächtig gewesen sein. Es kam ihr sogar viel heller als vorhin auf Jadoras Pferd vor. Sie begriff auch schnell warum. Sie befand sich auf einer kleinen Lichtung, die jedoch so klein war, dass man sie leicht zwischen den Bäumen hindurchblickend übersehen konnte. Am Rande der Lichtung erkannte Elea zeltartige Behausungen, die gut getarnt zwischen Bäumen und Büschen errichtet worden waren. Gedämpfte Männerstimmen, die von Zeit zu Zeit von lautem Lachen unterbrochen wurden, waren zu hören. Sie vergewisserte sich, dass sich niemand draußen aufhielt. Dann bog sie ihren Nacken etwas nach hinten, um ihr Blickfeld zu vergrößern. Zu ihrem Entsetzen entdeckte sie keine Fluchtmöglichkeit, dafür einen Haufen von Knochen, von denen sie hoffte, dass sie nur von Tieren stammten. Daneben waren zwischen mehreren Pfählen Schnüre gespannt, an denen Häute und Kadaver hingen, von denen ein mehr oder weniger
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