Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
Stärke, er leitet sie nur über seine Flügel. Der manu tanzt auf dem Wind, oder der Wind zieht ihn empor.«
»Er liegt auf der Windströmung oder nutzt den Unterdruck über der Segelfläche«, übersetzte Atamarie in die Sprache der Wissenschaft. »Von Letzterem will ich mehr wissen, das brauchen wir auch für die Entwicklung von Flugzeugen. Und diese Kastenbauweise ist interessant, die Drachen bestehen ja aus verschiedenen Quadraten, scheint mir, nicht? Das gibt ihnen Stabilität.« Rawiri schaute etwas verwirrt, und Atamarie lächelte entschuldigend. »Na ja, ist ja egal, wie man das ausdrückt«, sagte sie schließlich. »Zeig mir einfach, wie es geht!«
Sie lauschte denn auch aufmerksam auf Rawiris Erklärungen, obwohl er ihr nicht viel Neues erzählte. Im Grunde hätte sie die Drachen einfach nachbauen können, wenn man ihr nur einen Prototypen zur Verfügung gestellt hätte. Aber es gefiel ihr, Rawiris Stimme zu hören – sie war melodisch und weich und erinnerte sie ein wenig an Richards. Der hatte bei der Arbeit zwar meist schneller und in kurzen, stakkatoartigen Sätzen erklärt, während Rawiris Erläuterungen fast wie ein Lied klangen, das er dem Drachen sang. Aber dennoch … Atamarie ließ sich einlullen und fühlte sich fast wieder wie in der Werkstatt auf Richards Farm.
Atamaries Drachen war dann schon am Abend fertig – was Richard oder Professor Dobbins sicher lobend erwähnt hätten, während es Rawiri eher zu enttäuschen schien. Schließlich hatte sie zwar seine technischen Ratschläge befolgt, die spirituelle Seite des Drachenbaus aber tunlichst ignoriert. Der junge tohunga vermittelte auch die traditionell mit jedem Arbeitsschritt verbundenen Gesänge, Anrufungen oder Meditationen. Die Geister der Winde und Wolken wollten beschworen werden, zwischendurch rief man die Kraft des Vogelgottes an und erflehte seinen Segen.
»Das dient doch nur dazu, die Zeit auszufüllen, bis der Leim trocknet«, brummte Atamarie. »Und die Raupo-Blätter wachsen auch wieder nach, egal, ob ich die Geister des Strauches jetzt gnädig stimme oder nicht.«
»Aber es geht ums Prinzip«, meinte Matariki und sang leise die Worte des turu manu , während Atamarie ihren Drachen flugfertig machte: Flieg fort von mir, mein Vogel, tanze rastlos in der Höhe, schieße herab wie der Habicht auf seine Beute … »Das ist doch schön, Atamie!«
»Das ist eine Frage der Anströmung der Luft gegen das Drachensegel«, bemerkte Atamarie. »Und tanzen sollte das Ding gar nicht, dann gerät es zu schnell ins Trudeln. Hilf mir mal, Rawiri … was meinst du, hätte ich die Flügel nicht doch breiter machen sollen? Damit er an Stabilität gewinnt?«
Atamarie hatte sich für die Form des birdman entschieden – aus Sentimentalität, weil dies Richards Name bei den Maori war, aber auch, weil sie den Gleitfliegern der pakeha am ähnlichsten war und damit auch Richards künftigem Motorflieger.
Matariki verdrehte die Augen, stellte dann aber erfreut fest, dass Rawiri sich durch Atamaries mangelnde Spiritualität nicht entmutigen ließ. Er sprach weiter seine Gebete, lauschte aber auch interessiert auf Atamaries wissenschaftliche Ausführungen.
»Da siehst du es«, meinte Rawiri, als schließlich beide ihre Drachen aufgelassen hatten, um die vorher diskutierte Stellung der Waage zu erproben. »Steht der manu stolz aufrecht und spricht mit dem Menschen, so braucht man mehr Kraft, ihn zu halten, ohne dass er wirklich steigt. Wie ein Mann, der mit seinem mana protzt, aber nicht den Segen der Götter besitzt. Wenn sich der manu dem Wind ergibt und sich vor den Geistern beugt, dann steigt er rasch hinauf.«
Atamarie fasste sich an den Kopf. »Sag ich doch: Je steiler die Waage den Drachen stellt, desto stärker die Zugkraft. Wenn er flach gestellt ist, steigt die Auftriebskraft.«
Matariki, die mit ihrer Freundin Omaka zusammensaß, lachte. »Jeder spricht seine Gebete in seiner Sprache«, bemerkte sie.
Omaka nickte. »Aber diese beiden da«, meinte sie und wies auf Rawiri und Atamarie, »wenden sich zweifellos an den gleichen Gott.«
Atamarie hatte den Tag mit Rawiri genossen und zog sich auch nicht zurück, als er sie später an den Feuern zu umwerben begann. Er plauderte mit ihr, holte ihr Essen und Getränke – und mit jedem Schluck Whiskey rührten Rawiris poetische Komplimente tiefer an ihr Herz. Schließlich verstand der junge tohunga nicht nur, seine Drachen zu führen und die Götter mit schönen Worten zu
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