Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
umschmeicheln, sondern beschrieb auch sein Entzücken über Atamaries goldblondes Haar, ihre Augen, die er mit dunklem Bernstein verglich, und ihre Hände mit den langen, geschickten Fingern.
»Du musst meinen Lenkdrachen fliegen. Deine Finger werden mit ihm sprechen, sie werden ihn führen und aufschicken in die Welt der Götter. Und er wird ihnen meinen Wunsch übermitteln, dass du auch mich eines Tages berühren mögest und leiten und erhöhen zu den Gipfeln der Liebe …«
Unter anderen Bedingungen hätte Atamarie sich vielleicht sogar erweichen lassen, sich an ihren Bewunderer zu lehnen, ihn auf einem Spaziergang in die umliegenden Hügel zu begleiten und ihm einen Kuss zu gestatten. Womöglich hätte sie ihn sogar geliebt, schließlich war sie keine Jungfrau mehr. Es gab nichts, was aufzusparen war, und Richards Zärtlichkeiten hatten Atamarie durchaus Lust auf mehr gemacht. Nach den Erfahrungen in Temuka war sie jedoch argwöhnisch geworden. Natürlich sagte ihr der Verstand, dass Rawiri sie nicht als Flittchen verdammen würde, wenn sie ihm für ein paar Nächte ihren Körper schenkte. Maori-Frauen warteten nicht bis zurHochzeitsnacht, um die Liebe zu erproben, und bevor sie sich nicht eindeutig und vor dem ganzen Stamm für einen Mann entschieden hatten, forderte auch niemand Monogamie. Aber das Verhalten der Dorfbewohner in der Waitohi-Ebene hatte Atamarie beschämt und verletzt. Nein, niemand sollte glauben, dass sie sich jemandem hingab, den sie nicht wirklich liebte. Und von Liebe war ihr Verhältnis zu Rawiri weit entfernt.
Das blieb auch so, egal, wie sehr sich Rawiri in den nächsten Tagen um Atamarie bemühte. In gewisser Weise kamen sich die beiden zwar näher – sie entwickelten gemeinsam neue Lenkdrachen und erforschten das Verhalten der verschiedenen manu -Formen im Gleitflug –, aber wenn Rawiri Atamarie berühren wollte, rückte sie von ihm ab.
»Es tut mir leid«, sagte sie schließlich am letzten Abend ihres Aufenthaltes in Parihaka. Die Zeit mit den Maori hatte sie immerhin wieder so weit entspannt, dass sie mit Rawiri über sein vergebliches Werben sprechen konnte. »Aber ich war mit einem pakeha -Mann zusammen, und ich kann Richard nicht einfach so vergessen. Er … ich … wir hatten so viel gemeinsam, wir wollten … ich kann einfach noch nichts Neues anfangen.«
Rawiri nickte. »Ihr wolltet fliegen«, sagte er verständnisvoll. »Du wolltest mit ihm fliegen. Den Himmel erobern. Und ich spreche nicht einmal deine Sprache. Aber ich werde sie lernen, Atamarie.« Er wies auf ein Exemplar des Scientific American Magazine , das ihm Atamarie geliehen hatte, und das er seitdem ernsthaft studierte. »Ich werde lernen, auf deine Art manu zu bauen und die Götter bitten, mich einzuladen, den Himmel mit ihnen zu teilen.« Er lächelte spitzbübisch. »Ich werde mit deinem pakeha konkurrieren, Atamarie. Und wir werden sehen, wessen … aeronautische Konstruktionen …«, er sprach das offensichtlich der Zeitschrift entnommene Wort sehr langsamund deutlich aus, »… eher Gnade finden vor den Augen der Geister …«
Atamarie verstand nicht ganz, was Rawiri meinte, aber sie sah sein lächelndes, von seinem langen schwarzen Haar umtanztes Gesicht noch vor sich, als sie einen Tag später in den Zug stieg.
KAPITEL 2
Die Nachricht von der Auflösung der Konzentrationslager verbreitete sich in Windeseile in Karenstad. Sie löste Freude, aber auch neue Zukunftsängste aus. Vielen Frauen ging es wie Doortje, sie würden weder Haus noch Mann oder Vater vorfinden, wenn sie auf ihr Land zurückkehrten. Cornelis befürchtete obendrein die Ächtung seiner Nachbarn – er ahnte, dass nicht mehr viele Männer seines Kommandos am Leben sein würden, und zweifellos würde man ihm übel nehmen, dass er den Krieg ziemlich unbeschadet überstanden hatte. Inzwischen hinkte er auch kaum noch, sein Bein war vollständig verheilt. Nun bestand für Cornelis auch kein dringender Grund, in sein Dorf zurückzukehren – zwar erbte er den Hof und das Land seines Vaters, aber er fühlte sich nicht wirklich zum Farmer berufen –, allerdings schwankte er noch zwischen Neigung und Pflichtgefühl: Seine Mutter hatte überlebt und sah es als selbstverständlich an, dass er die Farm wieder aufbaute, sich eine Frau suchte und sie und womöglich weitere ältere Verwandte in seinem Haushalt aufnahm.
Cornelis war diese Vorstellung ein Gräuel, er wollte sich lieber eine Anstellung, vielleicht als Dolmetscher,
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