Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
viel unauffälliger. Er hatte Landwirtschaft studiert und gedachte, eines Tages die Farm seiner Eltern zu übernehmen. Vorerst arbeitete er allerdings als Berater für die Viehzüchtervereinigung und das Landwirtschaftsministerium in Otago. Die Gegend wandelte sich langsam wieder vom Zentrum der Goldgräberei zu einer landwirtschaftlich geprägten Region. Und nicht all die neuen Grundbesitzer und Schafzüchter kannten sich wirklich aus mit Weideführung und Wollerzeugung. Mancher träumte zwarvom Dasein als Schafbaron, hatte aber im Grunde nicht mehr aufzuweisen als Erfahrung – und Glück – beim Waschen von Gold.
»Kevin kommt bestimmt«, erklärte Atamarie. »Allerdings meint Heather, er habe schon wieder eine neue Freundin. Sie soll wunderschön sein, sie überlegt, sie zu bitten, ihr Modell zu stehen …«
Frauenporträts gehörten zu Heathers liebsten Motiven, und sie hatte damit schon große Erfolge erzielt. Heather verstand sich darauf, das Wesen einer Frau, ihren Charakter und ihre Erfahrungen in den Bildern einzufangen.
Roberta seufzte. »Kevin sieht ja auch sehr gut aus«, bemerkte sie, scheinbar beiläufig, aber es klang verzweifelt.
Atamarie lachte, legte die Hand auf den Arm ihrer Freundin und tat, als wollte sie Roberta schütteln. »Er mag ja der Prinz sein, Robbie, aber du bist auch alles andere als Aschenputtel! Wenn du dich ein bisschen zurechtmachst und nicht immer auf den Boden guckst oder rot anläufst und vollständig die Sprache verlierst, wenn du Kevin siehst, kannst du alle ausstechen.«
Roberta rührte weiter in ihrer Kaffeetasse. »Dazu müsste er mich erst mal angucken«, murmelte sie. »Aber er …«
»Dann mach’s anders und werd einfach mal ohnmächtig!«, schlug Atamarie scherzhaft vor. »Das ist gut, du lässt dich hinfallen, und ich schreie: Wir brauchen einen Arzt! Dann kann er nicht anders.«
Roberta hätte jetzt eigentlich in Gelächter ausbrechen müssen, aber sie kaute nur auf ihrer Unterlippe. »Du nimmst mich nicht ernst«, sagte sie schließlich.
Atamarie stöhnte. »Vielleicht siehst du die Sache mit Kevin etwas zu ernst«, gab sie dann zu bedenken. »Was sehr bedenklich ist. Denn du … du willst doch nicht einfach nur ein paar Küsse, oder? Du suchst einen Mann, der dich wirklich liebt. Und was das angeht, bist du bei Kevin sicher an der falschenAdresse. Er ist nett, und er ist witzig – ich hab ihn wirklich sehr gern, Robbie. Aber er sucht keine Frau, zumindest vorerst nicht, das hat er deutlich gesagt, als Grandma Lizzie ihn neulich drauf ansprach. Auf Dauer muss er natürlich heiraten, das erwartet man ja von einem niedergelassenen Arzt. Aber erst mal … Grandma Lizzie meint, er sei wie Grandpa Michael. Der hätte sich auch erst ›die Hörner abstoßen müssen‹, bevor er sich ernstlich für sie interessierte. Keine Ahnung, was sie damit meint, aber eins ist sicher: Kevin will erst mal nicht heiraten. Der sucht das Abenteuer!«
KAPITEL 2
Heather Coltrane hatte nicht übertrieben, als sie von Kevin Drurys neuer Freundin sprach. Juliet, wie er die junge Frau kurz vorstellte, ohne sich mit einem Nachnamen aufzuhalten, war eine außergewöhnliche Schönheit. Wobei sich kaum feststellen ließ, zu welchen Volksgruppen ihre Vorfahren gehört haben mochten. Ganz sicher war sie keine Weiße, aber eine Maori-Abstammung stand ihr auch nicht im Gesicht geschrieben. Juliet hatte schwarzes Haar, das in dichten Locken über ihre Schultern fiel, goldbraun angehauchte Haut und volle Lippen, dazu aber erstaunlich leuchtend blaue Augen unter schweren Lidern.
»Sie wirkt eher wie eine Kreolin«, mutmaßte Heather. Sie war weit gereist und dabei Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen begegnet. »Und findet ihr es nicht seltsam, dass er sie nur mit dem Vornamen vorstellt? Wo mag er sie getroffen haben?«
Heather begrüßte eben Robertas Mutter Violet und ihren Stiefvater Sean, die kurz nach Roberta und Atamarie die Galerieräume betreten hatten. Atamarie war gleich ungehemmt zu Kevin und seiner neuen Freundin herübergeschlendert und hatte kurz mit den beiden gesprochen, während Roberta vor Aufregung im Boden zu versinken schien. Sie hatte bei der Vorstellung kaum ein Wort herausbekommen, aber Juliet sah ohnehin nicht aus, als hätte sie vor, sich die Namen irgendwelcher Mädchen zu merken. Dafür sprach sie angelegentlichmit ein paar Herren, die sich sofort um sie versammelt hatten und sich jetzt darum rissen, sie mit Champagner und Hors d’œuvres zu
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